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Leibniz, Newton und die Erfindung der Zeit (German Edition)

Leibniz, Newton und die Erfindung der Zeit (German Edition)

Titel: Leibniz, Newton und die Erfindung der Zeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas de Padova
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Sie leiteten einen Perspektivwechsel ein, der zu den größten Kulturleistungen der Menschheitsgeschichte zählt. Mit ihrem mathematischen Blick von außen auf das Sonnensystem lösten sich nahezu sämtliche Verwicklungen auf: Alle Planeten fahren im selben Umlaufsinn auf Kreis-beziehungsweise Ellipsenbahnen um die Sonne.
    Wie grundlegend die Einbeziehung des Beobachters für die Entwicklung der modernen Naturwissenschaften ist, zeigt sich erneut bei der Analyse jener Kräfte, die die Bewegungen der Planeten verursachen. Hooke hat als Experimentator ein mechanisches Modell vor Augen, das nicht mehr zwischen irdischen und himmlischen Bewegungen unterscheidet. Sein Pendelversuch deckt sich mit der kopernikanischen Perspektive eines Beobachters, der die Planetenbewegungen von außen und daher besonders einfach wahrnimmt. Für ihn gibt es nur eine einzige anziehende Kraft, die einen Planeten daran hindert, geradewegs weiterzufliegen.
    Zur selben Zeit sind Forscher wie Christiaan Huygens oder Isaac Newton um eine Analyse der Kreisbewegung bemüht. Als Mathematiker hat Newton schon in den 1660er-Jahren jene Kraft berechnet, die bei Bewegungen in einer Zentrifuge auftritt. Diese Zentrifugalkraft taucht zum Beispiel in Zusammenhang mit der Mondbewegung auf. Newton spricht von der Tendenz des Mondes, sich von der Erde zu entfernen. 62 Warum entschwindet der Mond dann nicht in die Weite des Alls?
    Genau wie Huygens, Leibniz und die meisten anderen Naturforscher seiner Zeit setzt Newton ein Kräftegleichgewicht voraus: Die nach außen gerichtete Zentrifugalkraft muss durch eine entsprechende Haltekraft kompensiert werden. Statt einer einzigen Kraft sind in seinem Modell zwei Kräfte wirksam.
    Diese Vorstellung, der man auch in Hookes Schriften begegnet, hat ihre Tücken. Mit der Zentrifugalkraft nimmt Newton einen besonderen Blickwinkel ein: Er befindet sich in einem rotierenden System, ähnlich einem Hammerwerfer, der eine Kugel im Kreis schleudert. Lässt der Hammerwerfer die Kugel los, fliegt sie aus seiner Perspektive von ihm weg. Schaut man dem Hammerwerfer von außen zu, kann man keine nach außen gerichtete Zentrifugalkraft feststellen, sondern lediglich die nach innen gerichtete Haltekraft der Schnur, die die Kugel davon abbringt, sich geradlinig weiterzubewegen. Sobald der Werfer loslässt, fliegt sie, von außen gesehen, tangential davon.
    Kreisbewegungen verdrehen den Menschen auch im Alltag die Köpfe. Aufgrund der Trägheit der Körper treten in rotierenden, allgemeiner gesprochen: in beschleunigten Systemen zusätzliche Kräfte auf. Schon beim Anfahren einer Kutsche zum Beispiel spüren die Insassen einen Ruck. Wenn der Wagenlenker dann scharf links abbiegt, bleibt ein Apfel auf dem Sitz neben ihm nicht liegen, sondern rollt, vom Kutscher aus betrachtet, nach rechts. Von außen gesehen, verhält sich die Sache anders: Die Kutsche ändert ihre Fahrtrichtung, während sich der Apfel geradeaus weiterbewegt.
    Beide Blickwinkel sind möglich. Die im rotierenden System beobachteten Fliehkräfte verkomplizieren die mathematische Beschreibung jedoch ungemein. Insofern ebnet erst Hookes einfache Deutung der Kreisbewegung den Weg zur Gravitationstheorie.
    Es gelingt dem Experimentator allerdings nicht, aus seiner qualitativen Betrachtung eine quantitative zu machen. 1674 gesteht er ein, er habe noch nicht nachweisen können, was die verschiedenen Grade der Anziehungskraft seien. Seine Gedanken könnten den Astronomen aber außerordentlich hilfreich sein, um alle Bewegungen der Himmelskörper auf ein bestimmtes Prinzip zurückzuführen. »Derjenige, der die Natur des schwingenden Pendels und der Kreisbewegung versteht, der wird mit Leichtigkeit die ganze Grundlage dieses Prinzips verstehen.« Er selbst sei mit zu vielen anderen Dingen beschäftigt, um sich dieser Fragen ernsthaft anzunehmen. »Wer sich aber damit beschäftigt, dem kann ich versichern, dass er sämtliche Bewegungen der Welt begreifen wird, die unter dem Einfluss dieses Prinzips stehen. Und dass das wahre Verständnis daher die wahre Vollendung der Astronomie sein wird.« 63
Die Vollendung der Astronomie
    Dass er nicht in der Lage ist, aus dem Verlauf der Planetenbahnen die Anziehungskraft zu berechnen und umgekehrt, ist für ihn kein Grund zur Resignation. Hooke, nach Oldenburgs Tod zu dessen Nachfolger als Sekretär der Royal Society bestimmt, wendet sich in seiner neuen Funktion an denjenigen, der seiner Meinung nach am ehesten zur Vollendung der Astronomie

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