Leichenfresser - Thriller
danach zu trinken angefangen und schien inzwischen kaum noch etwas anderes zu tun. Sie arbeitete nicht, löste nur Sozialhilfeschecks ein und sammelte Zeitungen. Und Zeitschriften. Getränkedosen. Werbepost. Coupons. Leere Flaschen. Wie eine Besessene stapelte sie alles in stetig wachsenden Haufen im ganzen Haus. Die hoch aufragenden, einsturzgefährdeten Müllberge bildeten Pfade durch das Wohnzimmer, das Esszimmer und den Flur. Außer in Dougs Zimmer roch es im gesamten Haus nach Alkohol und Schimmel und sie ließ tagsüber ständig die Fenster und Jalousien geschlossen, weil sie Dunkelheit bevorzugte.
Falls Dougs Mutter ihren Sohn noch liebte, hatte sie eine merkwürdige Art, es zu zeigen. An den meisten Tagen nahm sie nur dann Notiz von ihm, wenn sie ihn wegen irgendetwas anschrie. Doug konnte kommen und gehen, wann er wollte, weil es seiner Mutter gar nicht auffiel, wenn er nicht zu Hause war. Schlimmer noch, sie schenkte Timmy und Barry mehr Aufmerksamkeit als ihrem eigenen Sohn – zu viel Aufmerksamkeit. Wie die Frau sie manchmal berührte oder anlächelte oder die Dinge, die sie zu ihnen sagte – Timmy wusste, dass damit etwas nicht stimmte. Manchmal verharrten ihre Finger ein klein wenig zu lang auf den Armen der beiden Jungen oder sie leckte sich die Lippen, wenn sie mit ihnen redete, oder sie streckte den Rücken durch, um die hängenden Brüste zu betonen. All das erinnerte an die Einleitungen dieser Briefe im Penthouse Magazine, die sie gelegentlich lasen. Wahrscheinlich lag es nur an ihrer Einbildung, das wussten sie. Und Doug schien es noch nie aufgefallen zu sein – oder falls doch, hatte er es noch nie erwähnt. Dennoch wirkte es manchmal so, als wollte Carol Keiser sie anbaggern. Und das war einfach schräg, denn Carol Keiser war eine Erwachsene.
Wann immer Timmy wütend auf seine Eltern wurde, brauchte er nur an Dougs Mutter zu denken, schon relativierte sich sein Ärger, und er war dankbar für das, was er hatte. Und wenn das nicht funktionierte, konnte er immer noch an Barrys Eltern denken.
Allerdings redete keiner der Jungen darüber, was in Barrys Haus ablief. Insbesondere Barry nicht. Timmy und Doug wussten es beide oder ahnten es. Wenn Timmy zu lange darüber nachdachte, wollte er am liebsten weinen. Aber die Fakten selbst blieben zwischen ihnen genauso unausgesprochen wie das eigenartige Verhalten von Dougs Mutter, wenn sie betrunken war.
So schien es besser zu sein.
Über manche Dinge schwieg man lieber.
Doug und Timmy taten so, als würden sie die blauen Flecken und Schnittverletzungen nicht bemerken.
»Und jetzt zurück zu ... Thundarr the Barbarian! «
Die Musik schwoll an. Als die Werbung endlich endete, wandten sie die Aufmerksamkeit wieder dem Bildschirm zu.
»Die Folge kenne ich noch nicht«, brummte sein Großvater.
»Ich schon. Ist ’ne Wiederholung. Die Rattenmenschen leben unter der Erde.«
»Erinnert irgendwie an das unterirdische Clubhaus, das ihr Jungs euch drüben auf dem Friedhof gebaut habt, oder?«
Timmy war zu perplex, um etwas zu erwidern. Niemand, schon gar nicht Erwachsene, sollten vom Bunker wissen. Er gehörte Barry, Doug und ihm. Sie hatten den Großteil des vorigen Sommers damit verbracht, ihn zu bauen, hatten ein Loch gegraben, das tief genug war, um darin stehen zu können, und breit genug, damit sie alle genug Ellenbogenfreiheit hatten. Abgedeckt hatten sie das Loch mit dicken Holzbrettern, aus denen sie eine Falltür bastelten. Für die Belüftung hatten sie ein altes Ofenrohr eingesetzt, und danach hatten sie die Bretter mit einer Plane bedeckt, die sie aus Bowmans Scheune stibitzt hatten. Abschließend hatten sie auf die Falltür und die Plane Rasenstücke gelegt, um den Eingang zu tarnen. Jemand, der vorbeiging, würde ihn nicht bemerken. Jeden Tag hatten sie daran gearbeitet, von frühmorgens bis zum Sonnenuntergang. Die Jungen waren stolz auf ihr technisches Wunderwerk gewesen, hatten einstimmig entschieden, dass es das beste je gebaute Clubhaus sei, und den vergangenen Herbst und diesen Frühling die Wochenenden damit verbracht, drinzusitzen und Comics oder alte Ausgaben von Hustler und Gallery zu lesen, die Barry seinem Vater geklaut hatte. Eigentlich durfte niemand wissen, dass der Bunker überhaupt existierte.
Sein Großvater zwinkerte ihm zu. »Keine Sorge. Bei mir ist dein Geheimnis sicher. Ich werde niemandem davon erzählen.«
»Aber woher weißt du davon?«
»Ich mache ja regelmäßig meine Abendspaziergänge um den Friedhof, zu
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