Leichensee
Kellnerin.
»Oh, die Kleine ist die Tochter von Richard Marshall, dem Wirt«, plapperte die los. »Sie ist ein bisschen … wie soll ich sagen … verdreht. Das Mädchen behauptet, es könne das Schicksal aus der Hand lesen. Ich erwähne das nur, damit Sie wissen, mit wem Sie es zu tun haben, falls die Kleine Sie mal anspricht.«
»Ist schon passiert.« Cotton grinste.
»Oh, dann muss ich Sie warnen.«
»Vor noch einem Spleen?«
»Nein, vor Terry Dodson. Ein junger Flegel, der am liebsten mit diesen Fitnessgeräten rumhantiert. Wenn er sich nicht um seine Muskeln kümmert, arbeitet er bei seinem Vater in der Metzgerei. Weidet den ganzen Tag blutige Gedärme aus und so was in der Art. Außerdem ist er ein Trunkenbold, der gern auf Ärger aus ist.«
»Und dieser Terry ist der Grund, weshalb ich Amy nicht zu nahekommen sollte? Sind die beiden verliebt, verlobt oder verheiratet?«
»Oh nein, ganz im Gegenteil.« Mrs Cooper kicherte, als hätte der FBI-Mann gerade einen Scherz gemacht. »Amy kann Terry nicht ausstehen, doch er klebt wie eine Klette an ihr. Hat sich bisher aber nur Abfuhren geholt.«
»Wo liegt da das Problem für mich?«
»Nun ja, Terry steht auf dem Standpunkt, wenn er Amy nicht haben kann, soll auch niemand anderer sie haben.«
»Und was sagt Amy dazu?«
»Er solle sie in Ruhe lassen und sich zum Teufel scheren.«
»Klingt unmissverständlich.«
»Für Sie und mich vielleicht, aber Terry ist in dieser Beziehung schwer von Begriff.«
Cotton bedankte sich und setzte seine Befragung fort. Bis zum Abend hatte er einen Schuhladen, eine kleine Werkstatt, einen Gemüseladen und noch ein paar andere Geschäfte abgegrast. Ein neuer Ansatzpunkt, was die Mordfälle betraf, ergab sich jedoch nicht.
Zudem warf der drohende Blizzard unübersehbare Schatten voraus. Die Einwohner des Ortes deckten sich im Supermarkt mit ausreichend Proviant für die nächsten Tage ein. Viele nagelten auch Bretter vor die Fenster ihrer Häuser, in der Erwartung eines Jahrhundertsturms, den die Wetterfrösche seit den Mittagsstunden in den Nachrichten prophezeiten.
Als die Dämmerung am späten Nachmittag einsetzte, machte Cotton sich auf den Weg zurück zum Auto. In Höhe des Coffeeshops beobachtete er ein Geplänkel zwischen Amy und einem fremden, jungen und überaus kräftig gebauten Mann. Beide standen neben dem Eingang des Lokals an der Einmündung zu einer lichtlosen Seitenstraße. Gegenüber dem Hünen wirkte die Kellnerin zerbrechlich klein. Die zwei waren so sehr in einen Streit verstrickt, dass sie den G-Man gar nicht bemerkten.
»Ich weiß, dass da mehr ist, du willst es mir nur nicht verraten«, schrie der junge Mann sie an.
»Um Himmels willen, Terry, da war nichts«, rief Amy zurück. »Was willst du denn von mir hören?«
»Die Wahrheit. Sheriff Pearce hat mich vorhin angerufen und erzählt, wie du diesem Kerl aus New York schöne Augen gemacht hast.«
»Wieso sollte Pearce dir so einen Blödsinn erzählen?«
»Weil er verhindern will, dass du dich einem dahergelaufenen Typen wie ein Flittchen an den Hals wirfst.«
»Ich werfe mich niemandem an den Hals. Aber weißt du was? Der Mann hatte Manieren, im Gegensatz zu dir.«
»Findest du, ja?« Terry legte ihr einen Arm um die Hüfte und drückte sie an sich. »Und wie findest du das?«
Amy versuchte sich zu befreien, aber der Griff, der sie umklammerte, war zu stark.
»He«, machte Cotton sich bemerkbar.
Amy zuckte zusammen, als sie den G-Man sah. Der Kraftprotz ließ sie los und drehte sich zu Cotton um.
Aus der Nähe wirkte Terry Dodson noch bedrohlicher und nicht unbedingt gepflegt. Er war gut eins neunzig groß und muskelbepackt wie ein Boxer. Besonders ausgeprägt waren sein kurzer Hals und die flache Stirn, was ihm Ähnlichkeit mit einem Gorilla verlieh. Er hatte winzige Augen, einen Bürstenhaarschnitt und eine Gesichtshaut wie grobes Sandpapier. Seine Windjacke stammte aus einem Laden für Sportartikel. Auf der Rückseite war der Name eines Footballspielers mit einer Rückennummer gedruckt. Dazu trug er eine schlabberige Hose, deren Färbung sich nicht zwischen einem stumpfen Braun oder Grün entscheiden konnte.
»Ist er das?«, knurrte er und musterte Cotton mit einem abschätzenden Blick.
»Ja.« Amy drückte müde beide Hände auf ihre Nieren und machte ein Hohlkreuz. »Lass ihn in Ruhe und mich weiter meine Arbeit machen. Bitte.«
Der Angesprochene machte keine Anstalten, dem Ansinnen Folge zu leisten.
»Entschuldigen Sie die
Weitere Kostenlose Bücher