Leichensee
Störung, Sir«, wandte sich Cotton an ihn. »Sie meinen es wahrscheinlich nur gut mit der jungen Lady. Aber irgendwann sollten Sie akzeptieren, dass ein ‚Nein’ bei ihr auch ein ‚Nein’ bedeutet.«
»Und können Sie sich vorstellen, was es bedeutet, wenn ich Ihnen eins in die Fresse gebe, Sie Klugscheißer?«, blaffte der zurück.
Amy stand hinter Terry und machte Cotton hektisch Zeichen mit der Hand, um ihn zum Schweigen anzuhalten. Cotton ignorierte den wohlgemeinten Hinweis.
Stattdessen sagte er: »Zu Ihrer Information, mein Freund : Zum einen bin ich von Berufs wegen Drohungen gewohnt. Zum anderen trage ich unter meiner Jacke eine Waffe. Wenn Sie es darauf anlegen, zeige ich Ihnen gerne, dass ich damit umzugehen verstehe. Und was Amy angeht: Wenn Sie die Lady nicht in Ruhe lassen, fallen Sie strafrechtlich unter die Kategorie ‚Stalker’. Die Sorte landet oft im Knast.«
»Sie fühlen sich wohl stark, weil Sie ein Bulle vom FBI sind? Wieso schlagen Sie mich dann nicht, statt mit Ihrer Knarre anzugeben? Sie haben wohl Angst, was?«
»Ehrlich gesagt, ja, ich habe Angst. Angst davor, dass Sie ein Schleudertrauma davontragen könnten.«
Terry starrte den G-Man verdattert an. Er verstand nicht, was der gemeint hatte.
»Außerdem«, fügte Cotton hinzu, »ist es verboten, einen FBI-Agenten anzugreifen. Wenn Sie es doch tun, müsste ich Sie verhaften. Also begeben Sie sich jetzt besser an einen anderen Ort, Mister.«
»Okay«, knurrte der und wandte sich provozierend langsam zum Gehen. »Amüsier dich ruhig mit dem Kerl, Amy. Im Gegensatz zu dir verplempere ich meine Zeit nicht mit Idioten.«
Amy wartete, bis ihr lästiger Verehrer außer Hörweite war, ehe sie sagte: »Danke, dass Sie mir geholfen haben.«
»Dafür brauchen Sie mir nicht zu danken«, winkte Cotton ab. »Bürgern in Not zu helfen, gehört zu meinem Job. Und offensichtlich wurden Sie ja belästigt.«
»Mit Terry werde ich schon allein fertig. War nicht das erste Mal, dass er mir gegenüber pampig geworden ist.«
»Trotzdem, man kann nie wissen. Wenn er Sie nicht in Ruhe lässt, rufen Sie mich bitte auf meinem Smartphone an.« Cotton zückte seine Börse, zog eine Visitenkarte heraus und gab sie ihr.
»Das werde ich gerne tun«, antwortete Amy mit einem langen Blick auf die Karte, bevor sie sie einsteckte. »Schade, dass Sie uns wahrscheinlich bald wieder verlassen. Vielleicht können wir uns vorher mal privat treffen.«
»Ist das eine Einladung zu einem Date?« Er schmunzelte.
»Weiß nicht.« Sie lächelte zurück. »Warten wir ab, ob ein Date daraus wird. Rufen Sie mich im Coffeeshop an, wenn Sie mal Zeit für mich haben. Die Nummer steht im Telefonbuch.«
5
Cotton musste sich über eine Stunde lang im Dienstwagen gedulden. Decker kehrte erst nach achtzehn Uhr aus der Stadt zurück. Beide Arme um sich geschlungen, stapfte sie zähneklappernd heran. Im Laufe des Nachmittags waren die Temperaturen auf Minusgrade im zweistelligen Bereich gefallen. Gleichzeitig hatten sich die Wolken bedenklich zugezogen. Seit etwa einer halben Stunde schneite es auch wieder. Im Gegensatz zum Vormittag wirbelten die Flocken diesmal immer dichter.
»Warten Sie schon lange?«, fragte Decker, als sie sich durchgefroren hinter das Steuer klemmte.
»Ich bin noch nicht angefroren, falls Sie das meinen«, antwortete Cotton. »Wo waren Sie denn die ganze Zeit?«
»Gefangen in der Buttercreme-Hölle.« Sie rieb die Hände aneinander.
Cotton hob die Brauen und sah sie fragend an.
»Wieso hat mich keiner vorgewarnt, wie gastfreundlich die Leute hier sind?« Mit ungelenken Fingern schob sie den Zündschlüssel ins Zündschloss und ließ den Motor an.
Sie schaltete das Licht und die Scheibenwischer an und legte einen Gang ein. Bevor sie losfuhr, vergewisserte sie sich, dass die Fahrbahn frei war. Danach vollführte sie mit dem Fahrzeug eine Hundertachtzig-Grad-Wende und brauste Richtung Martha’s Vineyard los.
»In meinem ganzen Leben habe ich noch nicht so viel Kaffee und Kuchen in mich reinstopfen müssen wie heute«, lamentierte sie unterwegs weiter. »Sie werden nachher ohne mich essen gehen müssen, Cotton. Noch ein Bissen mehr und ich platze.«
»Hat Ihr Martyrium sich wenigstens gelohnt?«
»Nein. Und wie ist es bei Ihnen gelaufen?«
»Ich habe ein Mädchen kennengelernt.«
»Na, das ist doch schon mal was. Hübsch? Unverheiratet?«
»Zweimal ja. Worauf wollen Sie eigentlich hinaus?«
»Dass Sie sich ein bisschen mehr auf Ihren Job
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