Leidenschaft des Augenblicks
Kinn noch immer erkennen, daß er seinen Weg unter großen Mühen gemacht hatte. Er war ein Mann, der seine eigenen Regeln aufstellte, sich aber auch daran hielt. Wer Vincent Benedict ehrlich gegenübertrat, dem begegnete er mit Ehrlichkeit. Wer jedoch versuchte, ihn über den Tisch zu ziehen, der mußte dafür bezahlen. Und zwar gewaltig.
Hatch verstand diese Mentalität, denn er lebte selbst nach diesem Kodex. Er hatte es schon getan, bevor er Geschäftsmann geworden war, hatte es während seiner Jugend gelernt, als er noch in einer Welt lebte, in der arbeiten eigenhändig zupacken hieß - sei es auf einer Ranch, am Bau oder als Fernfahrer.
Der Kodex war ihm auf den verschiedenen Arbeitsstellen eingehämmert worden und vertiefte sich in den rauchigen Kneipen, in denen er seine Nächte verbrachte. Hier lernte er Bier statt Weißwein zu trinken und selbst in den Texten von Country-Western Songs die Grundregeln der Psychologie zu finden.
Hatch hatte Benedict von Anfang an gemocht. Die beiden Männer waren sich auf Anhieb sympathisch gewesen - vielleicht deshalb, weil sich ihre Herkunft und ihr Werdegang so sehr ähnelten. Vincent Benedict war einer der wenigen Menschen, die Hatch ehrlich respektierte. Und er zählte zu den noch wenigeren, von denen Hatch sich wünschte, daß auch sie ihn achteten.
»Befürchten Sie vielleicht, daß Galloway heute abend kalte Füße bekommt?« erkundigte sich Hatch, da ihm auffiel, daß Vincent den Zahlen auf dem Computer-Ausdruck keine besondere Aufmerksamkeit schenkte.
»Nein.« In einer untypisch nervösen Geste trommelte Vincent mit den Fingern auf die Schreibtischplatte und runzelte die Stirn.
»Haben Sie irgendwelche Fragen dazu?« hakte Hatch nach und überlegte, wo wohl das Problem lag. Normalerweise war Benedict alles andere als verschlossen.
»Nein. Sieht alles sehr gut aus.«
Hatch zuckte die Schultern und schlug einen Ordner auf, um noch einmal die Zahlen zu überfliegen. Er hatte das Potential, das in Benedict Fasteners steckte, sofort erkannt, als Benedict die Firma Hatchard Consulting wegen eines Geschäfts mit einem japanischen Unternehmen konsultierte. Dieses Unternehmen hatte vor kurzem in Washington eine Fabrik eröffnet und vor Ort Lieferanten gesucht. Die meisten waren nicht in der Lage, den hohen Qualitätsanforderungen der Japaner gerecht zu werden, Vincent Benedict jedoch war klug genug gewesen zu erkennen, daß es sich garantiert auszahlen würde, wenn er sich dementsprechend engagierte.
Hatch hatte ihm den Weg dahin gewiesen und war im Laufe der Beratung zu dem Schluß gekommen, daß Benedict Fasteners genau das kleine, solvente Unternehmen war, nach dem er schon lange Ausschau gehalten hatte - um es als Sprungbrett zum wirklichen Big Business zu benutzen. Vincent hatte sich gesträubt, seine Firma zu verkaufen, jedoch anklingen lassen, daß eine zukünftige Zusammenarbeit keineswegs ausgeschlossen sei. Bald darauf hatte er Hatch einen Ein-Jahres-Vertrag als Geschäftsführer angeboten. In dieser Zeit wollten die beiden Männer die gegenwärtige Geschäftslage analysieren, sich gegenseitig kennenIernen und die Zukunft abschätzen.
Die Tinte auf dem Vertrag war kaum getrocknet, da hatte Benedict bereits angefangen, Ehestifter zu spielen.
Hatch war rasch klargeworden, daß dieser Handel einen bestimmten Preis hatte; daß er nur dann einen Anteil von Benedict Fasteners erringen konnte, wenn er dafür sorgte, daß das Unternehmen in Familienbesitz blieb. Und dahin führte nur ein einziger Weg. Doch dann hatte Hatch Jessie Benedict kennengelernt und entschieden, daß der Preis keineswegs zu hoch war. Genau genommen schien der Handel auf einmal eine runde Sache.
Natürlich war das Galloway-Geschäft bereits unter Dach und Fach. Das Dinner heute würde dem Ganzen nur noch einen freundschaftlichen Anstrich geben. Es würde die Bezie-hung festigen und Galloway endgültig davon überzeugen, daß von nun an Sam Hatchard, der neue Geschäftsführer von Benedict Fasteners, sein Verhandlungspartner wäre. Und Jessies Anwesenheit würde belegen, daß dieser Machtwechsel mit Vincents vollstem Einverständnis erfolgte.
»Sie sagt, daß Sie sie nervös machen«, brummte Vincent plötzlich.
Hatch blickte auf. Er war völlig in die Zahlen vertieft gewesen. »Wie bitte?«
»Jessie sagt, daß Sie sie nervös machen.«
»Ja?« Hatch wandte seine Aufmerksamkeit wieder den Papieren zu.
»Verdammt noch mal, stört Sie das denn nicht?«
»Sie wird darüber
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