Leif - Hungrig nach Leben: Ein jugendlicher Liebesroman
letzten Wochen. Das ist nicht nur Trauer um Leif.“
Im Geiste versuche ich, mich zurückzuerinnern und zu rechnen, wann ich meine letzte Periode hatte. Ich hatte anderes um die Ohren im vergangenen Monat, ich habe nicht darauf geachtet. Ich nehme die Schachtel, zweifle noch immer. Aber damit sie zufrieden ist, erfülle ich ihr den Wunsch. Hab ja eh nichts Besseres zu tun.
Ein paar Minuten später schleiche ich die Treppe nach unten in die Küche. Meine Beine sind matschig wie Butter, die zu lange in der Wärme gelegen hat. Mama ist gerade mit dem Ausräumen der Spülmaschine beschäftigt und summt die Melodie des Liedes, das im Radio läuft. Als sie mich kommen sieht, hört sie auf. Sieht mich erwartungsvoll an. „Und?“
Wortlos reiche ich ihr das Teststäbchen und lasse mich auf meinen Stuhl fallen. Der Tisch ist gedeckt mit Vollkornbrötchen, Obst und Joghurt, Vitaminsaft und Tee. In weiser Voraussicht meiner Mutter, die eine gesunde Ernährung sicherstellen möchte. Der bloße Anblick lässt meinen Magen rebellieren.
„Möchtest du selbst bei Dr. Breitner anrufen oder soll ich einen Termin für dich machen?“, fragt Mama. Sie geht zum Fenster, wo unser Tretmülleimer steht. Sie tritt auf das Pedal und befördert mein Biologieexperiment in den Restmüll.
Ich zucke mit den Schultern und seufze tief.
Mama zieht sich einen Stuhl heran und setzt sich neben mich.
„Was mache ich denn jetzt?“, frage ich. Meine tiefe Verzweiflung gilt in diesem Moment nicht mehr nur Leif.
„Wir kriegen das schon hin!“
Ich runzle die Stirn, warte auf ein Donnerwetter. Haben Aliens meine Mutter gekidnappt und durch einen Ersatz ausgetauscht? Wie kann sie so cool reagieren?
„Du reißt mir nicht den Kopf ab? Ich bin siebzehn und schwanger! Ich gehe noch zur Schule! Ich kann kein Baby gebrauchen! Hast du mir nicht immer eingebläut, aufzupassen?“
Mama legt ihre Hand auf meine. „Das waren andere Umstände.“
Plötzlich rieselt es mir eiskalt den Rücken hinunter. „Du meinst, mein Baby darf leben, weil sein Vater es nicht mehr tut?“
„NEIN! Um Himmels willen, Nina! Was denkst du von mir?“
„Dass ich abtreiben müsste, wenn Leif nicht gestorben wäre.“
Mama setzt zum Protest an, hält inne, lenkt mit traurigem Blick ein.
„Vielleicht hast du Recht. Und genau in diesem Moment erkenne ich, wie schrecklich der Gedanke ist. Aber du darfst auch nicht vergessen, dass das früher theoretisch war. Natürlich haben Papa und ich dir und deinen Geschwistern Horrorszenarien in Aussicht gestellt, damit ihr bei allem vorsichtig seid. Damit ihr nicht zu Fremden ins Auto steigt, keine Drogen nehmt, nicht ungeschützt Sex habt. Das ist die Pflicht aller Eltern, um ihre Kinder vor Schaden zu bewahren. Ich weiß nicht, ob wir wirklich auf einer Abtreibung bestanden hätten. Aber jetzt … ist alles anders.“ Sie tätschelt meine Hand, lächelt aufmunternd. „Wir finden eine Lösung! Vorausgesetzt … du willst das Baby.“
Ich hole tief Luft und zucke mit den Schultern. „Darüber habe ich noch nicht nachgedacht.“
„Dann tu das. In aller Ruhe. Du musst nichts übers Knie brechen. Du musst dir nur sicher sein, dass die Entscheidung richtig ist. Denn so oder so wird sie dich dein Leben lang begleiten.“
„Aber wie soll ich das ohne ihn schaffen? Und warum muss ich die Entscheidung allein treffen? Leif müsste mir dabei helfen.“
„Nina, mal ehrlich! Was denkst du, wie er sich entschieden hätte?“
Ich seufze. „Du meinst, weil ein Kind seine Freiheit noch mehr eingeschränkt hätte?“
Die Mutter all unserer Probleme: Er fühlte sich zu jung für eine feste, monogame Beziehung. Etwas mehr als ein halbes Jahr haben wir es geschafft. Für seine Verhältnisse war das verdammt viel. Zu viel. Er wollte nicht nur mit einem Mädchen zusammen sein. Er wollte sich austoben, Erfahrungen mit anderen sammeln. Er wollte seiner Lust ungestraft nachgehen können. Solange er damit niemanden verletzte, war nichts dagegen auszusetzen, oder? Die Einzige, die darunter litt, war ich, seine Freundin. Ich behinderte ihn. Und darunter litt er selbst. Er war kein gefühlloser Kerl. Er war schlicht noch nicht reif genug. Sesshaft und treu bleiben kann ich, wenn ich verheiratet bin, meinte er. Doch dazu sollte es niemals kommen.
„Wenn er noch da wäre, könnte ich ihm wenigstens ins Gesicht schreien. Stattdessen hat er mir ein Kind und sich aus dem Staub gemacht und ich darf zusehen, wie ich zurechtkomme. Das ist nicht
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