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Leise weht der Wind der Vergangenheit

Leise weht der Wind der Vergangenheit

Titel: Leise weht der Wind der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarit Graham
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kühles Licht erhellte den Sandstrand und auch den schmalen Weg, der zwischen den Felsen hindurch nach oben führte. Er endete an einer kleinen Höhlenöffnung, die nur als dunkler Fleck zu sehen war.
       Wie gebannt starrte er zu den Klippen, als erwarte er, jemand dort zu erblicken. Doch nichts geschah. Wie seit unzähligen von Jahren brachen sich die schäumenden Wellen an den Felsen und rollten wieder zurück in die endlose Weite des Meeres.
       Da wandte sich Gregory Simpson um und torkelte den Weg zurück, den er gekommen war. Immer wieder stolperte er und rappelte sich schimpfend wieder auf. Bald hatte die Nacht ihn verschluckt.
       Auf einem Felsen standen zwei kleine Mädchen in niedlichen Ballettkleidchen. Sie hatten sich bei den Händen gefasst und starrten dem Mann nach, als wollten sie ihn mit ihren Blicken durchbohren. Irgendwo in der Ferne erklang das traurige Lied einer einsamen Flöte.
                               * * *
       Matthew Wallace schaltete sein Autoradio lauter. Vor wenigen Minuten hatte er eine Musikkassette eingelegt mit schwermütigen Melodien, die zu der rauen, urwüchsigen Landschaft passten. Dort vorne war der kleine Friedhof von Ronaldsburgh, zu dem früher einmal ein Kloster gehört hatte. Vor über neunhundert Jahren war es einem großen Feuer zum Opfer gefallen. Nichts war mehr übrig von den altehrwürdigen Gemäuern außer dem hohen Rundturm, der jetzt der Mittelpunkt des Friedhofes war. Um ihn drängten sich die Gräber mit ihren unterschiedlichsten Grabsteinen und bunten Blumen.
       Matthew trat auf die Bremse. Dieser Ort der Ruhe bedeutete stets für ihn einen besonderen Anziehungspunkt, dem er nicht widerstehen konnte. Er parkte seinen Wagen vor dem schon ziemlich rostigen schmiedeeisernen Tor und trat ein.
    Stille empfing ihn, die nur von dem Piepsen einzelner Vögel unterbrochen wurde.
       Vor dem alten Rundturm stand eines der schönsten Hoch-kreuze Irlands. Matthew blieb nachdenklich davor stehen und betrachtete die biblischen Szenen, die im Halbrelief in dem fast sechs Meter hohen Kreuz eingearbeitet waren. Schon oft hatte der Schriftsteller an genau diesem Fleckchen Erde gestanden, um Gefühlskontakt mit der Vergangenheit aufzunehmen, die gerade an solch einem Ort sehr deutlich zu spüren war. Er brauchte diese Empfindungen für den Roman, an dem er arbeitete und der sein bis jetzt größtes Werk werden sollte.
       Zögernd legte Matthew seine Hand auf das kühle, grünlich angelaufene Metall. Eine seltsame Erregung ergriff ihn. Er genoss diese Empfindung, denn sie öffnete seinen Blick für das Wichtige in seinem Leben und ließ ihn gleichzeitig die Einsamkeit vergessen, die er nach einer großen Enttäuschung selbst für sich ausgewählt hatte.
       Die Glocke der nahen Kirche verkündete, dass es Zeit war für die Nachmittagsandacht, die in dieser Gegend üblich war. Matthew erwachte aus seiner Versunkenheit und wandte sich um. Er holte tief Luft und stellte wieder einmal überrascht fest, dass man sogar noch in dieser Entfernung den salzigen Geruch des Meeres wahrnehmen konnte, wenn man darauf achtete.
       Wenig später stieg er wieder in sein Auto und fuhr los. Doch er kam nicht weit. Eine einsame Frauengestalt marschierte mit forschen Schritten die Strasse entlang. Er hatte sie noch nie hier gesehen, was ihm doch etwas seltsam vorkam. Urlauber gab es in dieser Gegend so gut wie gar nicht, und wenn sich Fremde in Ronaldsburgh angesiedelt hätten, so hätte er doch auch etwas davon mitbekommen müssen.
       Er trat auf die Bremse und kurbelte die Scheibe herunter. „Kann ich Sie irgendwo hinbringen?“, fragte er freundlich.
       Die junge Frau blickte ihn lächelnd an. „Ich... danke für Ihr Angebot", antwortete sie nach kurzer Überlegung etwas verlegen. „Zwar habe ich es nicht mehr sehr weit, doch ich würde mich hüten, Ihnen einen Korb zu geben. Schließlich will ich so rasch wie möglich meine neuen Nachbarn kennen lernen. Sie sind doch auch aus Ronaldsburgh?" Mit einem offenen Lächeln in dem bildhübschen Gesicht blickte sie ihn an.
       Matthew wurde für einen Moment lang richtig warm ums Herz. „Sie haben recht", sagte er und lächelte zurück, „ich wohne in Ronaldsburgh." Er schüttelte den Kopf. „Da sieht man wieder, was man davon hat, wenn man als Einsiedler lebt. Alle Neuigkeiten passieren außerhalb meines Gesichtskreises." Es sollte ein Scherz sein, doch in seinen Augen lag Nachdenklichkeit. Er

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