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Leise weht der Wind der Vergangenheit

Leise weht der Wind der Vergangenheit

Titel: Leise weht der Wind der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarit Graham
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hören, hast du verstanden?" Mary bebte am ganzen Körper. „Du hast dich sehr verändert in den drei Tagen, die wir hier leben. Manchmal denke ich, es war doch ein Fehler, unser Elternhaus zu verlassen. Wir sind fremd hier und ich habe niemanden, mit dem ich reden kann.“
       „Du hast Greg." Anne blickte ihre Schwester an. „Er hat sich in dich verliebt. Doch Britta sagt, du sollst...“
       „Es reicht, Anne", schrie Mary und schlug die Hände vors Gesicht. „Ich will nichts mehr hören von Britta, sonst werfe ich sie ins Meer.“
       „Britta sagt, dass das vor dir schon einmal jemand...“
       Aufschluchzend stürzte Mary nach draußen. Mit einem lauten Knall warf sie die massive Holztür hinter sich zu und rannte einfach drauflos, ohne sich umzusehen. Es war ihr gleichgültig, wohin sie lief, sie wollte nur weg von dem Haus und auch weg von Anne, ihrer kleinen Schwester, die sie von Herzen liebte.
      Jetzt jedoch war sie ihr regelrecht unheimlich geworden. Seit sie den Entschluss gefasst hatten, ans Meer zu ziehen, hatte Anne sich verändert. Doch eigentlich hatte es schon ein wenig früher angefangen, nämlich an jenem Nachmittag, kaum einen Monat nach dem Tod der Eltern, als Anne auf dem Flohmarkt die Puppe gefunden hatte.
       Mary blieb stehen. Wie erwachend blickte sie sich um und stellte fest, dass sie nur noch wenige Schritte von den Klippen entfernt war. Das gleichmäßige Rauschen der Wellen beruhigte sie ein wenig, und die würzige Luft brachte den Geruch nach Wasser und nach Weite.
       „Warum nur?" Aufschluchzend schlug die junge Frau die Hände vors Gesicht. „Warum verstehe ich es nicht?“
       „Nicht weinen, Mary." Eine sanfte Hand legte sich auf die Schulter der Unglücklichen. „Eines Tages werden Sie verstehen. Es ist gar nicht so schwierig.“
       Mary erstarrte vor Schreck. Sie hatte vorhin niemanden gesehen und jetzt auch keine Schritte gehört. Die Gegend hier war ziemlich übersichtlich, sodass ein Mensch sich nicht einfach nähern konnte, ohne bemerkt zu werden. Dennoch hatte sie die samtene Frauenstimme gehört und eine Hand gespürt.
       „Wer sind Sie?“, fragte Mary und ließ langsam ihre Hände sinken. „Wie konnten Sie nur so plötzlich hier sein, ohne dass ich Sie bemerkte?" Sie zauberte ein Lächeln in ihr Gesicht und blickte sich um.
       „Ich..." Ihre Augen weiteten sich entsetzt. Sie stand ganz allein am Rande der Klippen, vor ihr dehnte sich das weite Meer in seiner Unendlichkeit und hinter ihr und zu beiden Seiten erwachten die kargen Wiesen bereits aus ihrem Winterschlaf.
       „Das ist doch nicht möglich." Mary schüttelte den Kopf. „Wo sind Sie?“, rief sie. Doch der Wind verschluckte ihre Frage und trug sie mit sich, ohne ihr die Antwort zu bringen. Da wandte sich Mary um und rannte davon, als ob der Teufel hinter ihr her wäre.
       Oben auf einer Klippe stand eine einsame Gestalt. Ein helles weites Kleid umspielte einen mageren Frauenkörper und der Wind riss an den langen schwarzen Haaren wie an einem zarten Schleier. Die Frau hatte die rechte Hand erhoben und winkte...
                           * * *
       Gregory Simpson hatte das Gefühl, als könnte er sein Leben noch einmal von vorne beginnen. Vorbei war die Zeit, da der Alkohol sein treuester Begleiter war. In einem Anfall von Selbsterkenntnis hatte er alle Flaschen aus seinem Häuschen verbannt und deren Inhalt vernichtet. Dann jedoch war er wieder in den Pub gegangen und hatte sich eine Flasche geholt - für den Notfall - wie er seine Tat bei sich selbst entschuldigte.
      Oft stand er schon morgens vor dem Spiegel und betrachtete sein Gesicht, in dem die Spuren der zahllosen Exzesse nicht zu übersehen waren. Dennoch war Greg zufrieden mit sich. Immerhin hatte er es geschafft, von heute auf morgen auf Alkohol zu verzichten. Nur an manchen Abenden brauchte er noch ein kleines Gläschen, um besser einschlafen zu können. Und im nüchternen Zustand musste er sich eingestehen, dass er die vergangenen Jahre gar nicht richtig gelebt hatte.
       Jetzt fiel ihm sogar auf, wie erwachsen sein einziger Sohn geworden war. Josh war ein hübscher Junge, der kaum Ähnlichkeit hatte mit seinen Eltern. Dabei hatte Greg früher immer geglaubt, Joshua würde seiner Mutter Paula ähneln, die irgendwo in der Welt mit ihrem Liebhaber ein neues Leben begonnen hatte. Das war bereits viele Jahre her, doch Greg hatte diese Schmach bis vor kurzem nicht überwunden

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