Leise weht der Wind der Vergangenheit
brauchen, dann lassen Sie es mich wissen. Ich wohne in dem letzten Häuschen am Ende des Weges. Danach kommt nur noch ödes Land." Er hatte große Mühe, seine Gedanken zusammenzuhalten.
„Danke für Ihr Angebot", sagte Mary und lächelte. „Sicher werde ich bald darauf zurückkommen." Sie hob grüßend die Hand, dann trat sie auf das Gaspedal. Der Wagen rollte langsam an, und die junge Frau kurbelte die Fensterscheibe wieder hoch. Sie atmete erleichtert auf, als sie Gregory Simpson im Rückspiegel immer kleiner werden sah.
„Du magst ihn nicht sonderlich, hab ich recht?“, fragte Anne unvermittelt. „Er hat wieder getrunken.“
„Ich verstehe dich nicht, Anne." Mary blickte forschend in den Rückspiegel. Plötzlich stand das Bild von vorhin wieder vor ihrem geistigen Auge - Anne als niedliche Balletteuse mit langen schwarzen Haaren...
„Dort vorne musst du abbiegen, Mary!“, rief das Mädchen erschrocken aus. „Fast wärst du vorbeigefahren. Da ist die Kirche, und der Friedhof kommt gleich danach. Maureen House wird dir gefallen. Wir werden sicher zuerst ordentlich putzen müssen.“
„Ich bin schon gespannt, wie es aussieht." Nur zu gern ließ sich die junge Frau von ihren vielen Fragen ablenken, die ihr durch den Kopf gingen. „Gregory Simpson hat wirklich gut beschrieben, wie wir zu unserem neuen Haus gelangen." Sie lächelte ihrer Schwester im Rückspiegel zu. „Sogar du hast hingefunden, obwohl du sonst immer Schwierigkeiten hast mit der Orientierung.“
Kaum hatte Mary diese Worte ausgesprochen, kam ihr die Erinnerung wie ein Blitzschlag ins Gedächtnis zurück. Anne war gar nicht dabei gewesen, als Greg ihr den Weg beschrieben hatte. Entsetzliche Angst vor etwas Unbegreiflichem stieg in Mary hoch. Sie fühlte etwas Drohendes auf sich zukommen, dem sie nicht entrinnen konnte.
Oder doch?
Gregory Simpson stand noch immer vor dem Schulhaus und starrte in die Richtung, in die Mary gefahren war. Er konnte das Auto nicht mehr sehen, dennoch war er unfähig, sich zu rühren. Die Hände hatte er zu Fäusten geballt, und in seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Wie ein drohendes Ungeheuer war die Erinnerung zu ihm zurückgekehrt, die er
viele Jahre erfolgreich aus seinem Leben verbannt hatte.
Im ersten Moment dachte er an Flucht, doch dann siegte sein Verstand. Aus dieser Geschichte gab es kein Entrinnen. Er konnte nur geduldig abwarten, wie alles sich weiterentwickelte.
Stöhnend wandte er sich um und stapfte die Straße entlang in die Richtung, aus der Mary und ihre Schwester gekommen waren. An einem weißen Häuschen blieb er stehen. Knurrend stieß er die braun gestrichene Holztür nach innen auf. Dunkelheit schlug ihm entgegen, an die er sich erst gewöhnen musste. Er ging zielstrebig an die Theke und hob die Hand. „Einen Gin, Dan und dann ein big Stout", verlangte er nach dem dunklen Bier, das schon seit vielen Jahren zu seinem Leben gehörte. Das irische Nationalgetränk wurde auch der Wein der Iren genannt, doch für Greg war es mehr. Wenn er genügend davon getrunken hatte, dazu noch einige Gläschen Gin oder Whisky, dann war seine Welt wieder in Ordnung.
Doch an diesem Nachmittag wollte sich das wohlige Gefühl einfach nicht einstellen. Er bestellte noch ein Glas und noch ein Glas und leerte sie alle so hastig, dass sogar der alte, beleibte Dan ihn sorgenvoll musterte. Alle in Ronaldsburgh wussten, dass Greg Simpson soff wie ein alter Seebär. Trotz allem war er ein sehr guter Schulleiter, sodass niemand wagte, ihn auf sein Problem hin anzusprechen. Nur Dan rüttelte ihn einmal am Ärmel. „Geh heim zu Josh, Greg. Du hast genug für heute.“
Mit verschleiertem Blick starrte Gregory den Wirt an. „Woher willst du das wissen?“, fuhr er ihn zornig an und knallte einen Geldschein auf den Tisch. Dann schwankte er zur Tür. Er stieß sie auf und taumelte nach draußen.
Der Himmel hatte sich verdüstert und ein heftiger Sturm fegte über die trockene Straße. Gregory stapfte weiter, die Hände in den Hosentaschen vergraben. Er schlug den Weg zur Küste ein. In den letzten Wochen war er öfter hier gewesen. Eine seltsame Kraft zog ihn plötzlich an den Ort, den er viele Jahre lang gemieden hatte.
Dann stand er auf einer bizarr geformten Klippe, von wo aus er einen herrlichen Blick aufs Meer hatte. Der Mond spiegelte sich in der samtenen Oberfläche, die sich fast schwarz gegen den grauen Horizont abhob. Sein
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