Lemberger Leiche
hervor und verdrehten sich nach oben, bis die Pupillen in den Augenhöhlen verschwanden. Ihre Hände ballten sich zusammen und begannen zu beben. Unerwartet knallte sie die Fäuste mit den Handschellen auf den Tisch, hieb in immer schnellerem Rhythmus auf die Tischplatte ein, als wäre die an allem schuld und müsse bestraft werden. Bei jedem der Schläge schrie sie heiser auf.
Die herausgepressten Schreie erinnerten Schmoll an den Fischreiher, der manchmal vom Max-Eyth-See herüberkam und hinter dem Präsidium über den Weinbergen auftauchte, der hin und her und auf und nieder schoss, als hätte er sich verflogen.
Offensichtlich hatte sich Brünnhilde Kurtz auch verflogen und suchte verzweifelt einen Landeplatz. Schmoll ließ sie gewähren, obwohl ihm der Tisch leidtat. Die Macken in der Platte würden ihn noch bis zu seiner Pensionierung an diese Frau erinnern. Und das waren noch mindestens fünfzehn Jahre.
Mit einem hatte Schmoll recht behalten. Zwischen ihren Fischreiherschreien hatte Frau Kurtz unbewusst ein paar Sätze hervorgekrächzt.
»Er hat mich ausgeplündert, wieso sollte ich ihm noch mehr Geld überlassen? – Sollte ich warten, bis er
mich
umbringt? – Er hat bekommen, was er verdient hat!«
Diese Aussagen genügten als offizielles Geständnis.
Nachdem Brünnhilde Kurtz hinausgeführt worden war, blieben Schmoll, Irma und Katz betroffen und wie gelähmtsitzen. Obwohl der Fall nun endlich gelöst war, konnte der Erfolg sie nicht in Siegerlaune versetzen. Alle drei fühlten ein seltsames Grauen, das von der zerrissenen Persönlichkeit der Mörderin zurückgeblieben war.
Bis zum Abend hatte der Staatsanwalt Anklage erhoben und der Haftrichter U-Haft für Frau Brünnhilde Kurtz angeordnet. Die Fahrt nach Schwäbisch Gmünd verbrachte Brünnhilde in einem Gefängnistransporter. Sie war benommen, aber noch lange nicht erschöpft. Das lag an ihrem zähen Naturell. Seit sie der Polizei leichtfertig und unfreiwillig ein Geständnis geliefert hatte, schwor sie sich unaufhörlich, auf der Hut zu sein und sich keine Schwächen mehr zu erlauben. Sie zerrte an ihren Handschellen, bis Haut und Muskeln schmerzten.
Nach einer halben Stunde musste sie einsehen, dass ihre Kraft nicht ausreichte, die Fesseln zu sprengen. Sie holte Luft und zischte ihre Frustration aus sich heraus. Es klang wie das Fauchen der Streicher in den ersten Takten des Walkürenritts. Nachdem sie diese Übung ein dutzend Mal exerziert hatte, konnte sie wieder klare Gedanken fassen. Sie fragte sich, ob es Trainingsgeräte in der Strafanstalt gab.
Wenn ich trainieren kann, dachte sie, und wenn sie mir meinen MP3-Player nicht abnehmen, wird alles halb so schlimm werden.
Sie steckte sich die Ohrstöpsel an und lauschte dem düsteren Nornenvorspiel aus der
Götterdämmerung
.
Als der Gefangenentransporter die Justizvollzugsanstalt in Schwäbisch Gmünd erreicht hatte und Brünnhilde Kurtz das Gebäude erblickte, hatte sie die Vision, sie käme hierher, um den Schleier zu nehmen und ihr Leben hinter den Mauern des ehemaligen Klosters zu beschließen.
Das Rätsel, wo Brünnhilde Kurtz die Beute aus dem Bankraub versteckt hatte, blieb nach wie vor ungelöst. Auch bei weiteren Verhören hatte sie das Versteck ihres Schatzesnicht preisgegeben. Sie behauptete nach wie vor, Erik habe ihr das Geld abgenommen und Bosede gegeben. Es konnte schließlich nichts weiter getan werden, als auf den Prozess zu warten.
Brünnhilde aber hoffte, eines Tages den Schatz zu heben und damit ein neues Leben beginnen zu können. Sie verweigerte sich dem Gedanken, dass sie lebenslänglich hinter Gitter wandern würde. Sie nährte ihre Hoffnung, ausbrechen zu können.
Zwanzig
Samstag, 21. August
Inzwischen war es August geworden. Schmolls Team hatte längst neue Fälle auf dem Tisch und verfolgte andere Tatverdächtige. Darunter befanden sich keine Damen, die schwer ergreifbar und noch weniger begreifbar waren. Keine Damen wie die durchtriebene, aber doch reizende Dorothea Zuckerle aus Cannstatt oder die zwiespältige und perfide Brünnhilde Kurtz aus Feuerbach. In diesem Sommer mordeten ausnahmslos Rentner.
Bei der derzeitigen Ermittlung musste geklärt werden, ob ein älterer Herr seine Ehefrau aus dem fahrenden BMW geschubst hatte oder ob sie ohne sein Zutun herausgefallen war. Die Polizei war von Letzterem ausgegangen. Doch dann berichteten zwei Männer, die im nachfolgenden Wagen gesessen hatten, von einem Handgemenge, das dem Unglück vorausgegangen war –
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