Lemberger Leiche
falsch. Sie konnten ihr bisher weder den Bankraub noch das, was sie mit Erik gemacht hatte, nachweisen. In Brünnhildes Augen war das kein Mord gewesen, sie fühlte sich als Walküre, die berechtigt war, über Schicksale zu entscheiden. Sie fühlte sich als Todesengel, der Erik nach Walhall geleitet hatte.
Wenn sie doch manchmal an der Rechtmäßigkeit ihres Tuns zweifelte, dachte sie: Es kann kein Zufall sein, dass ich den Namen Kurtz trage. Wer Kurtz heißt, kann sich alles erlauben, um seine Ziele zu verwirklichen. Es spielt keine Rolle, wo das geschieht: Ob im Herzen Afrikas, im vietnamesischen Dschungelkrieg oder in einer Stadt wie Stuttgart. Aber das würde weder dieser Kleiderschrank von Schmoll noch der mickrige Katz verstehen und schon garnicht diese rote Hexe. Eine Walküre namens Brünnhilde Kurtz würde nichts zugeben. Nichts! Vor allem nicht, wo die Beute versteckt war.
Und wie schon manchmal, seit ihre Pläne sich nicht so verwirklichen ließen, wie sie erwartet hatte, und ihr deswegen ihre Selbstsicherheit zu entgleiten drohte, führte sie ein flüsterndes Gespräch mit Erik, um ihre innere Ruhe wiederzufinden: »Wenn ich deinen Brief nicht abgefangen hätte, mein Kleiner, hätte ich nie erfahren, dass du mich um das Geld prellen wolltest. Es mit dieser schwarzen Hure durchzubringen – das hätte dir so gepasst! Das hast du büßen müssen, mein Schätzchen! Du wusstest doch, dass ich klüger bin als du. Sonst hättest du dich nicht auf meinen Plan eingelassen. Du hast allerliebst ausgesehen mit der Perücke. Jeder, der uns begegnet ist, war überzeugt, dass du ein Mädchen bist. Mein Fehler war, auf das Weinblütenfest zu gehen. Ich wollte mir möglichst weit weg von der Bankfiliale ein Alibi verschaffen. Und außerdem wollte ich diesen Abstecher ins Naturschutzgebiet machen. Du wirst zugeben: Der Lemberg war für meinen Racheplan ideal!«
Brünnhilde Kurtz lächelte versonnen, bevor sie weiter mit Erik flüsterte: »Der Wald hat uns verschluckt, kaum dass wir ihn betreten hatten. Du hast keinen Verdacht geschöpft, mein kleiner, dummer Erik. Du bist mir ins undurchdringliche Dickicht gefolgt, weil ich dir erklärt hatte, wir müssten das Geld vergraben. Du hast mir geglaubt, dass wir es erst ausgeben können, wenn die polizeilichen Ermittlungen eingestellt sein würden.« Brünnhilde seufzte. »Es ist mir nicht leicht gefallen, dir den Spaten ins Genick zu schlagen und dich ins Kotzenloch zu werfen. Aber du hast nichts anderes verdient. Ich hab es ja sogar schriftlich, dass du
mich
umbringen wolltest. Mich umbringen, um an das Geld zu kommen. Also musste ich schneller sein. Mit mir, mein kleiner Erik, hättest du dich nicht anlegen dürfen!« Sie lächelte wieder. »Aber deine Idee, ein paar Scheine in den Rucksack zu stecken, der auf dem Alten Friedhof herumstand, war genial.Solange man bei mir kein Geld aus der Beute findet – und das werden sie nie – wird der Besitzer des Rucksacks der Täter bleiben. Ich habe alles bedacht.«
Was Brünnhilde nicht bedacht hatte, war, dass niemand den Tonträger ausgeschaltet hatte.
Irma hatte mit ihrer Kaffeetasse vor dem Fenster des Verhörraumes gestanden. Sie beobachtete Brünnhilde und sah, wie sich ihre Lippen bewegten. Irma vergaß ihren Kaffee und alles um sich her. Bei ihr läuteten die Alarmglocken. Sie wurde zusehends aufgeregter.
Erst als es so schien, als wäre das Selbstgespräch beendet, ging Irma hinein, schenkte Brünnhilde ein reizendes Lächeln, nahm dabei in aller Seelenruhe das Diktiergerät vom Tisch und verschwand damit.
Brünnhilde, der nicht bewusst war, ihren Monolog geflüstert statt gedacht zu haben, ahnte nicht, dass einige Zimmer weiter ein Tontechniker ihr Flüstern in verständliche Laute verwandelte. Während sie noch eine ganze Weile allein im Verhörraum saß und unter der Tischplatte ausprobierte, welche Muskeln sie einsetzen musste, um zu gegebener Zeit die Handschellen loszuwerden, hörten nebenan Schmoll, Katz und Irma das Geständnis vom Tonträger.
Es brach kein Jubel aus. Dieses Geständnis war für Menschen mit Gerechtigkeitssinn zu grausam und erbarmungslos, um Freude aufkommen zu lassen.
Irma bestand darauf, unverzüglich mit dem Beweis zu Stöckle zu gehen, damit Fabian Knorr endlich aus der U-Haft entlassen werden konnte. Seit Irma Brünnhilde Kurtz im Visier hatte, war sie von Fabians Unschuld überzeugt. Aber für Stöckle war der Fall in dem Moment abgeschlossen gewesen, in dem die Euroscheine aus dem
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