Lenas Flucht
Eine ganz normale Frau, dazu noch schwanger. Ihr Paß war in Ordnung.«
»Was soll’s, Kruglow, nun ist es halt passiert«, seufzte Sawtschenko. »Du hast diesen Unfug hoffentlich nicht registriert?«
»Doch, hab’ ich …«
Sawtschenko verzog das Gesicht.
»Das ist alles, Unterleutnant, wegtreten. Geh nach Hause und schlaf dich aus.«
»Zu Befehl, Genosse Hauptmann!«
Kruglow salutierte und ging.
Hauptmann Sawtschenko überlegte kurz, las die Anzeige noch einmal durch und rief dann Amalia Petrowna an.
Vor diesem Besuch graute ihm. Aber mit der Anzeige mußte etwas geschehen. Er spürte, die Geschichte mit der schwangeren Journalistin aus Moskau würde wohl er, Sawtschenko, auslöffeln müssen.
Es hatte sich so ergeben, daß der Hauptmann seit zwei Jahren in Amalia Petrownas Schuld stand. Damals war seine Tochter, die sechzehnjährige Mascha, schwanger geworden. Man hielt Familienrat. Sein großer Sohn Wolodja brüllte, er werde den Schweinehund, der seiner Schwester einen dicken Bauch gemacht hatte, schon finden und umbringen. Mascha zerfloß in Tränen, erklärte, sie sei selber schuld und wolle das Kind bekommen.
Am Ende fanden sich alle mit der Lage ab und warteten auf den Familienzuwachs. Da stellte sich heraus, daß es bei Mascha ernsthafte Gesundheitsprobleme gab. Die Chance, das Kind auf normalem Wege zur Welt zu bringen, war gering, und auch ein Kaiserschnitt wurde als riskant angesehen. Man ging mit Mascha zu den besten Fachärzten von ganz Moskau. Alle erklärten wie aus einem Munde, garantieren könnten sie für nichts.
Hier kam Amalia Petrowna ins Spiel. Lesnogorsk ist eine Kleinstadt, und das Problem in der Familie des Milizchefs machte die Runde. Daher war es nicht verwunderlich, daß die Leiterin der gynäkologischen Abteilung des Stadtkrankenhauses Sawtschenko zu Hause anrief.
»Bringen Sie Ihre Mascha zu mir, Konstantin Sergejewitsch. Ich schau sie mir mal an.«
Das war Sawtschenkos letzte Hoffnung. Bis zum Entbindungstermin blieb Mascha noch ein Monat.
Die Geburt dauerte drei Tage. Amalia Petrowna ließ ihre Patientin keine Minute allein. Als schließlich Sawtschenkos Enkel um zwei Uhr nachts den ersten Schrei hören ließ, rief Amalia Petrowna den Hauptmann persönlich an.
»Ich gratuliere Ihnen, Hauptmann Sawtschenko. Ein Junge. 3700 Gramm, 54 Zentimeter. Maschas Zustand ist normal, Sie können sie morgen besuchen. Ich lege sie in ein Einzelzimmer und habe selbst ein Auge darauf, wie es ihr nach der Entbindung geht.«
Da rief Sawtschenko, der sich vor Glück kaum fassen konnte, wie von Sinnen in den Hörer: »Amalia Petrowna! Jetzt stehe ich mein Leben lang in Ihrer Schuld!«
In der Zeit danach bedrängten Sawtschenko und Familie die Ärztin immer wieder mit Geschenken – teurem französischem Parfüm, einem Goldkettchen und anderen Sachen. Sie lehnte alles ab:
»Aber Hauptmann Sawtschenko, glauben Sie denn, mir geht es um Geschenke? Sie werden es schon irgendwann wiedergutmachen.«
Einen Monat später tauchte Amalia Petrowna mit einer Torte und einem riesigen Rosenstrauß bei Familie Sawtschenko auf, um »den Kleinen zu besuchen«. Als sie mit dem Hauptmann allein im Treppenhaus stand, um zu rauchen, begann sie nach einigen nichtssagenden Worten: »Ich muß ernsthaft mit Ihnen reden. In unserem Krankenhaus läuft jetzt ein wichtiges Forschungsprojekt an. Wir arbeiten an einer Serie von Medikamenten – völlig neuen Präparaten –, wodurch es zu vielen Kontakten kommen wird. Wichtige Leute werden uns besuchen, die am Ergebnis unserer Forschungen interessiert sind – hohe Geschäftspartner, Abgeordnete, Staatsbeamte, Diplomaten … In diesem Zusammenhang habe ich eine große Bitte an Sie. Für unsere Arbeit brauchen wir absolute Ruhe. Damit meine ich nicht die allgemeine Lage in der Stadt, die haben Sie im Griff. AberLesnogorsk ist klein, es wird Gerede und alle möglichen Gerüchte geben. Solche Nichtigkeiten dürfen uns nicht von unserer wichtigen Arbeit ablenken. Verstehen Sie, was ich meine?«
»Ehrlich gesagt, nein«, bekannte Sawtschenko. »Was konkret erwarten Sie von mir?«
Amalia Petrowna lächelte.
»Überhaupt nichts Besonderes. Ich meine, wenn irgendwelche Mißverständnisse über unser Krankenhaus entstehen, wenn Sie Anzeigen, Signale oder etwas in der Art erhalten, seien Sie so gut, sagen Sie mir Bescheid. Und noch etwas. Wie Sie wissen, haben wir einen eigenen Objektschutz – zwei Männer von einer privaten Sicherheitsfirma. Dafür haben wir zwei
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