Lenas Flucht
lag er mit der Schnauze im Dreck.
»Ich mach’ uns noch einen Kaffee. Oder möchten Sie lieber einen Kognak?« erklang Amalia Petrownas Stimme.
»Danke, da sage ich nicht nein. Ihr Kaffee ist hervorragend. Aber bitte keinen Schnaps.«
Allein geblieben, faßte der Hauptmann einen Entschluß. Als die Hausherrin mit dem Tablett zurückkam, erklärte er: »Also, Amalia Petrowna, einigen wir uns so: Wir gehen davon aus, daß ich die Anzeige überprüft habe. Ihr Wort genügt mir. Sie sind die Fachfrau. Doch mit den Überweisungen muß jetzt Schluß sein. Die bringen mir die Ordnung durcheinander. Natürlich haben meine Jungs nichts gegen eine Prämie, aber die Sache ist nicht ganz korrekt.«
»Gegen dieses Geld hatten nicht nur Ihre Jungs, sondern auch Sie persönlich bisher nichts einzuwenden, mein lieber Hauptmann. Zwei Jahre lang haben Sie es genommen und nichts dabei gefunden. Und jetzt bekommen Sie es mit der Angst zu tun? Ich habe Ihnen doch erklärt, daß alles seine Ordnung hat.«
Sawtschenko spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoß. Er stand auf. »Ich denke, zwischen uns ist alles geklärt. Für mich ist das Gespräch beendet. Bitte keine weiteren Überweisungen.« Er wandte sich um und schritt zur Tür.
»Einen Augenblick, mein Lieber. Sie haben Ihren Kaffee noch nicht ausgetrunken.« Amalia Petrowna stand auf undnahm seinen Ellenbogen. »Sie wollen wissen, was in unserem Krankenhaus vorgeht? Gut, ich sage es Ihnen.«
Der Hauptmann befreite sich sanft aus ihrem Griff.
»Was kann in einem Krankenhaus vorgehen? Dort macht man die Leute gesund. Ich bin kein Fachmann. Leben Sie wohl.«
»Sie haben also wirklich Angst.« Amalia Petrowna wiegte mitfühlend den Kopf. »Das kann ich sogar verstehen«, fügte sie kaum hörbar hinzu und öffnete ihm die Tür. »Auf Wiedersehen, Hauptmann Sawtschenko. Danke, daß Sie gekommen sind. Hat mich gefreut. Besuchen Sie mich alte Frau doch hin und wieder. Grüßen Sie Mascha, Wanja und Ihre ganze Familie von mir.«
Fünftes Kapitel
Die Redaktion der Zeitschrift »Smart« hatte in dem Hochhaus am Sawelowsker Bahnhof zwei ganze Etagen gemietet. Noch vor kurzer Zeit war dieses riesige verglaste Ungetüm, das bei jedem Vorortzug, der unten vorbeifuhr, klirrte und bebte, die unumstrittene Domäne des Zentralkomitees des Kommunistischen Jugendverbandes gewesen. Es gehörte dessen Verlag »Junge Garde«. In allen Etagen saßen damals Jugendzeitschriften – vom »Jungen Kommunisten« bis zum »Jungen Naturforscher«.
Aus diesem zwanziggeschossigen, durchsichtigen Ameisenhaufen blickte man nach einer Seite auf die Sawelowsker Bahnstrecke und nach der anderen auf graue Lagerhäuser, Kasernen und Garagen.
Als die Komsomolblätter Ende der achtziger Jahre ihr Erscheinen einstellten, machte sich eine Zeitlang die Pornographie im Hause breit. Aber auch sie hatte der freie Markt bald satt. Alles in Maßen …
Jetzt fand man hier ein Gemisch der verschiedensten Redaktionen – reicher und armer, seriöser und übel beleumdeter,faschistischer und rechtgläubiger. Da gab es Etagen mit Computern, modernster Büroeinrichtung und langbeinigen Sekretärinnen. Woanders war es öd und leer, tranken in die Jahre gekommene Journalisten Wodka, rauchten billige Zigaretten und stürzten sich auf jeden, auch den zweifelhaftesten Auftrag, nur, um irgendwie ihr Brot zu verdienen.
Die beiden Etagen, die der Redaktion von »Smart« gehörten, galten als die schicksten im ganzen Haus. Den Geist der kommunistischen Jugend hatte man hier gründlich ausgetrieben. Statt dessen roch es, wie es in den Büros einer florierenden kapitalistischen Firma zu riechen hat – nach Raumspray, klimatisierter Ozonluft und teurem Eau de Toilette.
Leise klapperten die Computer, sanft tönten die Telefone, geräuschlos schwebten die Mitarbeiter über die weichen Teppiche – alle im klassischen Kostüm oder Anzug. Und wenn wirklich einmal einer in Jeans auftauchte, dann waren es solche von der echten, sehr teuren Sorte.
Lena schloß ihr Büro auf, schlüpfte aus dem Mantel und nahm den Schal ab. Als sie vor dem Spiegel die noch feuchten Haare kämmte, sah sie zum ersten Mal, wie sehr ihr Gesicht von dieser Nacht gezeichnet war. Sie hatte nicht geschlafen und seit dem Vortag nicht einen Bissen zu sich genommen.
Die Imbißstuben im Parterre und in der 20. Etage hatten noch geschlossen. Aber bei der Sekretärin des Chefredakteurs konnte man immer einen hervorragenden Tee und einen Snack aus dem Kühlschrank
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