Lenke meine Fuesse Herr
Postkarten, finde einen Briefkasten und mache mich auf Man rät mir, am Ufer entlang zu gehen — tagsüber ist die Grenze dort offen: Ein Drahtzaun, ein offenstehendes Tor, Hinweisschilder, man möge mit zu verzollenden Waren doch bitte zum Grenzübergang kommen — das ist alles und schon bin ich in der Schweiz!
In Kreuzlingen irre ich ein bisschen herum, komme fast bis an die Jugendherberge — da hätte ich gestern gleich hingehen sollen! Ein Schild: „Change am Bahnhof“. Ich wechsle 100,00 €. Der Bahnbeamte schickt mich auch richtig auf die Jakobswegmarkierung. Ein Radfahrer spricht mich als Pilger an, fragt mich woher, wohin, weshalb, ich sage auch, dass ich so etwas nur einmal im Leben mache und da meint er: Einmal ist keinmal — und ich würde diese Erlebnisse wiederholen wollen. Als der Weg abbiegt, überredet er mich, die Straße geradeaus weiterzugehen, da hätte ich nachher einen herrlichen Blick auf die Reichenau — ich bräuchte nur immer der Straße zu folgen, der markierte Weg käme auf sie zurück.
Irgendwann ist er zuhause und ich keuche weiter die Steigung hoch. Bei einem stattlichen Bauernhaus mit der Thurgauer grün-weißen Fahne tatsächlich ein schöner Blick zurück auf den See — noch ein Foto und ich nehme endgültig Abschied von Deutschland und dem Bodensee.
Die Regenwolken, die ich eben fotografiert habe, erreichen mich. Ich ziehe den Regenschutz über den Rucksack und spaziere unterm Regenschirm weiter. Ein Stück die B 1 entlang (Radweg) und dann hat mich der Jakobsweg wieder. Malerische Waldwege, ich ignoriere eine Wegsperrung wegen Forstarbeiten, wieder Straße, Feld, Kuhglocken. Am Bommer Weiher mache ich in der Sonne Rast und verstaue den Regenüberzug wieder im Rucksack. „Reifenwechsel“: Sandalen an!
Zwei Frauen mit Hund studieren auf der Straße die Karte, gehen weiter, doch kurz vor Alterswilen machen sie schon wieder Orientierungshalt und so hole ich sie ein. Sie gehen heute den Jakobsweg bis Märstetten und wir beschließen, zusammen zu laufen. Der Weg führt kreuz und quer, vermeidet Asphalt, schöne Waldwege in eine Schlucht mit wildromantischem Bach. Dort steht ein schönes altmodisches gusseisernes Jakobswegschild und die Jüngere will unbedingt davor fotografiert werden, mitsamt ihrem Hund.
Und da passiert’s: Als ich in die Knie gehe, um sie besser auf den Film zu kriegen, platzt die Innennaht meines linken Hosenbeins vom Knie bis zum Schritt auf und ich stehe halb im Freien! Die Frau bietet mir an, dass ich sie heute Abend anrufen soll, wo ich bin: Sie käme dann, holte die Hose, nähte sie und brächte sie wieder zurück. Doch dann hat sie einen besseren Gedanken: Sie fragt in einem einsamen Hof an, erklärt unsere Lage — und die Altbäuerin ist tatsächlich bereit, den Schaden zu beheben. Die Frauen warten draußen, ich lasse Rucksack und Sandalen im Flur und finde mich in Unterhosen auf dem Sofa einer wunderschönen alten Stube mit einem urigen Kachelofen wieder. Die Bäuerin holt die Nähmaschine aus dem Kasten, näht die Naht doppelt und dreifach wieder zu — und die andere Seite auch gleich, damit so etwas nicht noch einmal passiert!
In Märstetten trenne ich mich von den Frauen und dem Hund — ich will ins Dorf, zur Jakobskirche. Dort finde ich einen Hinweis auf den Prägestempel und stemple meinen Pilgerpass. Gegenüber der alten Pilgerherberge ein Lebensmittelgeschäft: Ich fülle meine Mundvorräte auf. Nach Arlikon geht es eine endlose Steigung, den Bach entlang, ich mache Rast und da ist plötzlich ein Radfahrer aus Pfullendorf — auf dem Weg nach Santiago! Ich biete ihm Tee an, er hat Durst. Er ist erwerbsunfähig, Frührentner, kann nicht laufen, aber radeln. Er trägt sein Gepäck auf dem Rücken und ich rate ihm, sich besser einen Gepäckträger zu kaufen — er klagt über den hohen Schwerpunkt. Wir gehen ein Stück Weg gemeinsam, bei Holzhausen lasse ich ihn ziehen: Es war schön, Gesellschaft zu haben, doch jetzt genieße ich das Alleinsein wieder.
Oben an der Schule über Affeltrangen einige Regenspritzer, ein paar nette Ziegen, schwarzweiß mit lustigem Kitz, und da, an einem Wegweiser ein Hinweisschild: Zimmer für Pilger. Nach einigem Suchen und Fragen — alle Leute hier sind wirklich freundlich und hilfsbereit — lande ich im „Restaurant Schöffli“ bei der Frau Hösli und kriege ein herrliches Zimmer, ein gutes Abendessen und aufgeschlossene und interessante Unterhaltung. Eine liebe und freundliche Frau! Sie kopiert
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