Lenke meine Fuesse Herr
noch eine Stunde in der Kälte auf eine Angestellte warte, die mir aufschließt. Inzwischen habe ich dreimal die Hütte umrundet, Eis von den Tischen gekratzt, einen kleinen Ausflug zum Höhenrücken gemacht, auf dem die Feuerstelle liegt, und erstaunt ein Thermometer betrachtet, das behauptet, es sei knapp zehn Grad kalt! Doch in der Sonne ist es auszuhalten.
Um viertel vor neun komme ich dann los. Steiler Abstieg — kniebrechend, ich bin wieder einmal froh über meine Stöcke. Dazwischen ebenso steile Anstiege — ich gehe sie langsam an und es geht besser als gestern. Herrliche Sonne, Kuhglocken, Schaf- und Ziegenherden — welch paradiesisches Land! Oben ist der Frühling so weit wie bei uns vor einer Woche, doch je weiter ich absteige, desto sommerlicher wird es. Kastanien, Rhododendren, Magnolien blühen, Löwenzahn leuchtet in der Sonne, die Wiesen sind gelb vom Hahnenfuß. Eine Schulklasse wandert mit ihrem Lehrer, wir unterhalten uns, während ich überhole. Vor einem Bauernhof setze ich mich auf eine Bank, schmuse ein bisschen mit dem Hund und esse von meinen Vorräten. Bauer und Bäuerin wollen Schafen Glocken umhängen, doch denen passt das gar nicht und sie wollen sich nicht einfangen lassen. Ich könnte noch länger zusehen, doch ich will und muss weiter.
Endlich: Blick auf den Zürichsee — noch sehr weit. Wieder steil abwärts und aufwärts, Treppen, Steige, wunderschöner Wald. Im Hochwald an einer Kreuzung eine Bank mit der Aufforderung: „Jufle und strütte, des macht chrank, drum gönn dir es viertel Stündli uff derer Bank!“ — was ich auch tue.
Kurz vor Rapperswil erwischt mich ein Regenguss. Eigentlich wollte ich weiterlaufen, doch es ist nach vier und mein linker Fuß macht Schwierigkeiten. Ich rufe in der Jugendherberge an — die sei voll, sagt man mir, ich versuche in Pfäffikon Quartier zu finden — auch belegt. Also hier in den Gasthof Jakob. Sehr schön, aber sehr teuer! Doch die Gratis-Pilgersuppe ist gut!
Ich bringe Ballast zur Post, schreibe Karten und genieße bei wieder wolkenlosem Himmel das südländische Flair am Zürichsee. Abendessen, Wäsche waschen, Tagebuchschreiben, ein bisschen Fernsehen, Schlafen. Morgen früh geht’s nach Einsiedeln.
Donnerstag , 12. Ma i 2006
Rapperswil – Alpthal 26 km
Ich habe schlecht geschlafen, war immer wieder wach. Gegen halb sieben bin ich endgültig auf den Beinen. Ich fülle den Trinkbeutel, packe, stelle den Rucksack an die Rezeption und gehe erstmal frühstücken. Die Bedienung füllt mir meine Flasche mit heißem Wasser und legt drei Teebeutel dazu — zwei gewonnen. Doch ich habe kein schlechtes Gewissen, dass ich mich an der Teebar auch noch mit Neskaffee, Ovomaltine, Kräutertee und Kakaobeuteln eindecke — bei dem Übernachtungspreis! In der Post kaufe ich noch einen zweiten Speicherchip für meine Kamera — sollte wohl reichen!
Über den langen Steg — da treffe ich zwei Damen, die mich ausquetschen. Eine war vor zwei Jahren in Santiago. Ein Schwan brütet direkt neben dem Weg und lässt sich auch von meiner Kamera nicht stören. In Pfäffikon geht’s steil bergauf, Treppen — ich gehe langsam und muss nicht so oft verschnaufen wie in den letzten Tagen. Endlich erreiche ich das Haus Luegeten mit den lustigen Figuren auf der Liegewiese. Für ein kleines Mineralwasser zahle ich hier 3,95 €!
Weiter steil bergauf, ich lasse es ruhig angehen, lasse mich zweimal überholen, unter anderem von einer fünfköpfigen Familie aus Rorschach. In einem engen Tal Panzersperren aus Beton. Endlich oben in St. Meinrad. Ich gehe in die wunderschöne Kapelle, werfe den Pullover über, denn es pfeift empfindlich. Hinunter über die Teufelsbrugg, hoch über sonnige Matten und da hinten ist auch die Rorschacher Familie wieder und macht Pause. Vor Waldweg unterhalte ich mich mit einigen Spaziergängern und da haben sie mich eingeholt. Jetzt packt mich aber der Ehrgeiz: Mit denen halte ich mit! Papa hat einen strammen Schritt drauf, doch da es eben oder abwärts geht, bleibe ich locker neben ihm. Vor uns endlich der Stihlsee und schließlich Einsiedeln.
Am Ortseingang will ich in die Kapelle, doch die ist leider abgesperrt. So habe ich die Rorschacher verloren. Ich sehe sie im Münster wieder, als ich an der Gnadenkapelle vorbeikomme. Doch vorher fällt mir eine Abordnung historisch gekleideter Männer und Frauen auf, mit einem unterarmlangen goldenen Schlüssel — aber den krieg ich nicht — schade! Als ich die Kirche betrete,
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