Leonardo und das Geheimnis der Villa Medici
seiner Fantasie – aber in Zukunft sollte es sie genauso in der Fantasie des französischen Königs geben.
Joao sah sich die Entwürfe Leonardos an. „Alle Achtung“, sagte er. „Du hast Talent zum Zeichnen! Vielleicht sollte dich dein Vater mal in einer Werkstatt als Lehrling anmelden!“
„Er hat sich schon erkundigt“, sagte Leonardo. „Aber dort nimmt man mich erst in ein paar Jahren, wenn ich etwas älter bin!“
„Wie gesagt, Talent hast du. Aber du brauchst eine Ausbildung.“
„Vielleicht könnt Ihr mir ja ein paar Eurer Tricks zeigen, Herr Joao!“, schlug Leonardo vor. „Lasst mich einfach nur zuschauen, wenn Ihr meine Entwürfe in Eure Arbeiten einfügt!“
„Ich habe nichts dagegen. Allerdings muss ich dich warnen.“
„Wovor?“
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„Davor, dass der Agent, dessen Namen ich im Übrigen nicht
einmal kenne, hier jederzeit und ohne Vorankündigung auftauchen kann. Und wenn er dich hier sieht, wäre das für uns beide nicht gut!“
„Kam er nicht meistens abends oder nachts?“
„Ja, aber nicht immer. Das liegt daran, wann er aufbricht.“
Leonardo sah sich um. Dann deutete er auf eine Truhe, die in der Ecke des Raumes stand und eigentlich dazu gedacht war, das
Bettzeug zu verstauen. „Sollte es brenzlig werde, kann ich mich dort drinnen verstecken.“
„Gut“, nickte Joao. „Und nun sieh zu, wie ein Meister arbeitet und lerne!“
Stundenlang verbrachte Leonardo in der Kammer des
Portugiesen. Oft blieb er bis spät abends dort, sodass sich Großvater schon besorgt erkundigte.
„Der Mann ist ein Zeichner“, erklärte Leonardo. „Und er hat sich angeboten, mir seine Kunst zu zeigen.“
„Einfach so?“, wunderte sich der Großvater.
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„Nein, ich gebe ihm meine Fantasie dafür – daran mangelt es ihm nämlich, während ich davon im Überfluss habe!“
„Seltsam ist das trotzdem! Hast du nicht irgendwann einmal
gesagt, dass der Portugiese ein Spion oder so etwas sei?“
„Da habe ich mich wohl geirrt“, behauptete Leonardo, der nicht weiter über dieses Thema diskutieren wollte.
Aber als Leonardo die für ihn neue Art des Zeichnens
ausprobierte, die er bei Joao de Lagos gesehen hatte und der
Großvater eines dieser Blätter in die Hände bekam, staunte er.
Leonardo hatte sich tatsächlich in sehr kurzer Zeit viel abgeschaut.
Währenddessen arbeitete der Portugiese zahlreiche Ideen
Leonardos in die Kopien ein, sodass Florenz als eine vor Waffen und Kriegsgerät nur so starrende Stadt erschien, bei der man sich auf eine jahrelange Belagerung einstellen musste.
Der Bote holte die Originale regelmäßig ab, um sie nach Florenz zurückzubringen, während in etwas größeren Abständen der Agent mit der Lederkappe aus Richtung Pisa die Gasthaus aufsuchte, um die Kopien an sich zu nehmen.
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Wochen und Monate vergingen. Der Sommer neigte sich
schließlich dem Ende zu und in den Nächten wurde es jetzt schon manchmal deutlich kühler.
Eines Tages, als Leonardo wieder einmal sehr spät noch bei dem Portugiesen war, um ihm bei der Arbeit zuzusehen, klopfte Gianna an die Tür.
„Mein Herr, Euer Besucher ist da und möchte eingelassen
werden!“, rief sie.
„Das muss der Agent sein!“, meinte Joao. „Er ist eigentlich schon überfällig. Ich habe mich schon gewundert, warum er die letzten Kopien noch nicht abgeholt hat.“
„Ich gehe in die Truhe!“, sagte Leonardo.
Joao nickte. „Tu das!“ Dann ging er an die Tür, öffnete sie und wandte sich an Gianna. „Sag ihm, er mag zu mir kommen. Ich bin bereit, ihn zu empfangen.“
„Jawohl!“, nickte sie.
Wenig später tauchte der Mann mit der Lederkappe in Joaos
Zimmer auf. Den schweren Tritt seiner Stiefel hatte man bereits auf der Treppe deutlich hören können. Leonardo drückte den Deckel der 181
Truhe etwas hoch, sodass er durch einen winzigen Spalt blicken konnte.
„Ich habe diesmal lange auf Euch warten müssen“, sagte der
Portugiese.
„Ja, es ist viel geschehen“, sagte er. „Wo sind Eure letzten
Arbeiten?“
„Ich werde sie für Euch zusammenfalten. Allerdings war der Bote aus Florenz inzwischen schon ein weiteres Mal hier, um mir neues Material zum Kopieren zu geben – und davon ist bislang nur ein kleiner Teil fertig.“
„So gebt mir alles, was fertig ist“, forderte der Agent. Er wartete geduldig ab, bis Joao alles zusammengepackt hatte. Anschließend übergab der Zeichner seine Arbeiten an den Agenten, der sie in seine Ledertasche steckte.
„Wir haben uns
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