Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
Vom Netzwerk:
selbst, voll Scheiße. Er hatte sich selbst so satt. Er taumelte auf den Flur und erblickte am Ende des Ganges die Tür, hinter der sein Vater lag.
    Eine Schwester steckte den Kopf aus einem der Stationszimmer, sah ihn an und verschwand wieder. Harry hatte noch fünfzig Meter bis zur Tür, als die Schwester gemeinsam mit einem kahlköpfigen Mann auf den Flur trat und ihm den Weg versperrte.
    »Wir bewahren hier auf der Abteilung keine Medikamente auf«, sagte der Kahle.
    »Das ist nicht nur eine grobe Lüge«, sagte Harry und versuchte seinen Gleichgewichtssinn und das Zähneklappern zu kontrollieren, »… sondern eine grobe Beleidigung. Ich bin kein Junkie, sondern ein Angehöriger, der seinen Vater besuchen möchte. Also lassen Sie mich bitte durch.«
    »Entschuldigen Sie«, sagte die Schwester, sichtlich beruhigt von Harrys klarer Aussprache. »Aber Sie riechen wie eine Brauerei, wir können Sie nicht durchlassen …«
    »Brauerei macht Bier«, sagte Harry. »Jim Beam ist Bourbon. Was zur Folge hat, dass ich wie eine Destillerie rieche, junge Frau. Das ist …«
    »Egal«, sagte der Pfleger, packte Harry am Ellenbogen, den er aber ebenso schnell wieder losließ, als Harry im Gegenzug seine Hand herumdrehte. Der Pfleger verzog das Gesicht vor Schmerzen, bevor Harry ihn losließ und ihn musterte.
    »Rufen Sie die Polizei, Gerd«, sagte der Pfleger leise, ohne Harry aus den Augen zu lassen.
    »Wenn das für Sie in Ordnung ist, kümmere ich mich darum«, sagte eine leicht lispelnde Stimme hinter ihnen. Sigurd Altman. Er stand mit einem Ordner unter dem Arm da und lächelte sie an: »Begleiten Sie mich dorthin, wo wir die Betäubungsmittel verwahren, Harry?«
    Harry schwankte zweimal vor und zurück. Fokussierte den schmächtigen, dünnen Mann mit den runden Brillengläsern. Dann nickte er. »Hier entlang«, sagte Altman, der sich bereits in Bewegung gesetzt hatte.
    Altmans Büro war strenggenommen ein Verschlag. Es hatte weder Fenster noch Ventilation, dafür aber einen Schreibtisch und ein Feldbett, das für die Pausen im nächtlichen Bereitschaftsdienst gedacht war. Und einen abschließbaren Garderobenschrank, der, wie Harry vermutete, diverse Varianten der chemischen Beruhigung oder Stimulierung enthielt.
    »Altman«, sagte Harry, der laut schmatzend auf der Bettkante saß, als hätte er Leim an den Lippen. »Ungewöhnlicher Name. Ich kenne nur einen, der so heißt.«
    »Robert«, sagte Sigurd Altman, der auf dem einzigen Stuhl im Raum Platz genommen hatte. »In dem kleinen Ort, in dem ich aufgewachsen bin, mochte ich den nicht, der ich war, und nach meinem Weggang habe ich als Erstes beantragt, meinen schrecklich gewöhnlichen Namen – natürlich endete der auf -sen – zu ändern. Ich begründete meinen Antrag damals damit, dass Robert Altman, was ja auch stimmt, mein Lieblingsregisseur ist. Der Sachbearbeiter muss an diesem Tag einen Kater gehabt haben, jedenfalls ging der Antrag durch. Es würde uns allen guttun, ab und zu wiedergeboren zu werden.«
    »The Player«,
sagte Harry.
    »Gosford Park«,
entgegnete Altman.
    »Short Cuts.«
    »Ah, ein Meisterwerk.«
    »Gut, aber überschätzt. Zu viele Erzählstränge, die die Handlung unnötig kompliziert machen.«
    »Das Leben ist kompliziert. Genau wie die Menschen. Schauen Sie ihn sich noch einmal an, Harry.«
    »Hm.«
    »Wie läuft's denn? Haben Sie beim Marit-Olsen-Fall Fortschritte gemacht?«
    »Fortschritte?«, erwiderte Harry. »Der Typ, der das getan hat, wurde heute festgenommen.«
    »Uih, da verstehe ich, dass Sie feiern.« Altman legte das Kinn auf die Brust und sah Harry über den Rand seiner Brille hinweg an. »Ich gestehe gerne, dass ich die Hoffnung habe, meinen potentiellen Enkeln erzählen zu können, dass es meine Hinweise zu Ketanomin waren, die den Fall gelöst haben.«
    »Das dürfen Sie, aber letztlich hat ihn ein Anruf bei einem der Opfer überführt.«
    »Der Arme.«
    »Wer ist hier arm?«
    »Alle, nehme ich an. Warum eilt es so, warum wollen Sie Ihren Vater ausgerechnet heute Nacht noch sehen?« Harry hielt die Hand vor den Mund und rülpste lautlos.
    »Es gibt immer einen Grund«, sagte er. »Egal wie besoffen Sie sind. Auf der anderen Seite geht mich dieser Grund natürlich nichts an, ich sollte das Ganze also vielleicht auf sich beruhen …«
    »Sind Sie jemals um Sterbehilfe gebeten worden?«
    Altman zuckte mit den Schultern. »Ein paarmal. Als Anästhesiepfleger bin ich da natürlich prädestiniert. Warum?«
    »Mein Vater hat mich

Weitere Kostenlose Bücher