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Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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prickelnde Gewissheit, dass jetzt gleich etwas passieren und jemand zu Schaden kommen würde.
    Es war Harry Hole.
    Groß, breitschultrig, das Gesicht schmal und rotgeäderte, tief in den Höhlen liegende Augen. Er stand einfach nur da. Und obgleich niemand um Ruhe bat, breitete sich Stille in der Bar aus, bis nur noch zwei redselige Kriminaltechniker mit einem letzten Zischen aufgefordert wurden, den Mund zu halten. Als es vollkommen still war, begann Hole zu reden.
    »Ihr feiert also, dass es euch gelungen ist, die Früchte der Arbeit an euch zu reißen, die andere für euch erledigt haben?«
    Die Worte kamen leise, fast flüsternd, und dennoch schallte jede Silbe durch das Lokal.
    »Ihr feiert einen Chef, der, ohne mit der Wimper zu zucken, über Leichen geht – sowohl die, die sich da draußen bereits stapeln, als auch die, die demnächst aus der sechsten Etage des Polizeipräsidiums getragen werden –, nur um der Sonnenkönig in fucking Bryn zu werden. Gut. Hier habt ihr einen Hunderter.«
    Truls sah Hole einen Hundertkronenschein aus der Tasche ziehen.
    »Den braucht ihr nicht zu stehlen. Da – kauft euch ein Bier, Vergebung, einen Dildo für Bellmans
threesome…«
    Er knüllte den Schein zusammen und warf ihn auf den Boden. Aus dem Augenwinkel konnte Truls sehen, dass Jussi sich bereits in Bewegung gesetzt hatte.
    »… oder noch einen Polizeispitzel.«
    Hole machte einen unsicheren Schritt zur Seite, und erst in diesem Moment begriff Truls, dass der Kerl – obgleich seine Aussprache überdeutlich wie die eines Pastors war -sternhagelvoll war.
    Als ihn gleich darauf ein rechter Haken von Kolkka links am Kinn traf, vollführte Hole eine halbe Pirouette, der eine tiefe, nahezu galante Verneigung folgte, nachdem ihm der Finne seine Linke in den Solarplexus gerammt hatte. Truls ahnte, dass Hole in wenigen Sekunden – sobald er wieder Luft bekam – kotzen würde. Hier drinnen. Aber auch Jussi schien diesen Gedanken zu haben. Es war ein merkwürdiges Schauspiel, als der kleine, stämmige Finne geschmeidig wie eine Ballerina den Fuß hob und ihn gegen Harrys Schulter stieß, so dass der zusammengekrümmte Polizist nach hinten kippte und durch dieselbe Tür ver schwand, durch die er eben erst eingetreten war.
    Die Betrunkensten und die Jüngsten brüllten vor Lachen, und Truls schnorchelte, während einige der Älteren empört aufschrien. Einer von ihnen forderte Kolkka auf, sich gefälligst zu benehmen, aber keiner unternahm etwas. Truls wusste, warum. Jeder hier im Raum kannte die Geschichte. Harry hatte die Uniform durch den Dreck gezogen, das eigene Nest beschmutzt und einen ihrer besten Männer auf dem Gewissen.
    Jussi marschierte mit ausdrucksloser Miene zum Tresen, als hätte er nur mal kurz den Müll rausgebracht. Truls lachte wiehernd und schnorchelte. Er würde sie niemals verstehen, die Finnen und Samen und Eskimos, dieses ganze Pack.
    Weiter hinten war ein Mann aufgestanden und steuerte auf den Ausgang zu. Truls hatte ihn noch nie im Kriminalamt gesehen, fand aber, dass er unter seinen dunklen Locken wie ein Polizist aussah.
    »Sagen Sie Bescheid, wenn Sie Hilfe brauchen«, rief ein anderer, der an seinem Tisch saß.
    Erst drei Minuten später, als Celine Dion in voller Lautstärke aus den Lautsprechern dröhnte und die Gespräche wieder in Gang gekommen waren, wagte Truls sich vor. Er stellte den Fuß auf den Hunderter und schob ihn unter seiner Sohle zum Tresen. Harry füllte die Lungen mit Luft. Und kotzte. Einmal, zweimal. Fiel wieder in sich zusammen. Die Kälte des Asphalts drang durch alle Kleiderlagen, und er presste sich so schwer gegen die Seite seines Körpers, als würde Harry ihn tragen und nicht auf ihm liegen. Auf der Innenseite seiner Augenlider tanzten blutrote Flecken und schwarze, sich windende Schlangen.
    »Hole?«
    Harry hörte es, wollte aber nicht zeigen, dass er wach war. Er fürchtete Tritte. Also hielt er die Augen geschlossen.
    »Hole?« Die Stimme kam näher, und er spürte eine Hand auf der Schulter.
    Harry wusste, dass der Alkohol seine Reaktionsgeschwindigkeit und seine Treffsicherheit beeinträchtigte, tat es aber trotzdem. Er schlug die Augen auf, wälzte sich herum, zielte auf den Kehlkopf und kippte zur Seite, nachdem er sein Ziel um fast einen halben Meter verfehlt hatte.
    »Ich besorg Ihnen ein Taxi«, sagte die Stimme.
    »Verdammt, nein«, stöhnte Harry. »Hau ab, du Ratte.«
    »Ich bin nicht vom Kriminalamt«, sagte die Stimme. »Ich heiße Krongli. Ich bin der

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