Leopard
von Anfang an klarzustellen, wer das Sagen hatte. Um dann einen großen Auftritt hinzulegen, den Verdächtigen hart ranzunehmen und gleich in die Defensive zu drängen. Bellman zog es vor, bereits im Raum zu sitzen und zu warten, wenn der Verdächtige hereingeführt wurde. Um das Revier zu markieren und ihnen zu zeigen, wer der Platzhirsch war. Er konnte den Verdächtigen trotzdem hinhalten, indem er las oder in seinen Akten blätterte, bis die Nervosität seines Gegenübers spürbar stieg, um dann, wenn die Zeit reif war, den Blick zu heben und seine Geschosse abzufeuern. Aber das waren die feinen Details der Befragungstechnik. Und natürlich war er bereit, mit anderen kompetenten Ermittlern darüber zu diskutieren. Noch einmal kontrollierte er, dass die rote Aufnahmelampe leuchtete. Sich erst mit der Technik abzumühen, wenn der Verdächtige einem gegenübersaß, konnte die ganze eingeübte Statusdemonstration zerstören.
Durch das Fenster sah er Beavis und Kolkka das Nachbarbüro betreten. Zwischen ihnen ging Tony Leike, den sie aus der Arrestzelle im Polizeipräsidium geholt hatten.
Bellman holte tief Luft. Doch, auch er hatte in diesem Augenblick einen leicht erhöhten Puls und spürte Angriffslust und Nervosität in sich aufkeimen. Tony Leike hatte das Angebot, einen Anwalt hinzuzuziehen, abgelehnt. Im Prinzip war das natürlich ein Vorteil für sie, da es ihnen einen größeren Spielraum gab. Gleichzeitig war es aber auch ein Zeichen dafür, dass Leike sich seiner Sache ziemlich sicher war. Dieser Naivling. Er wusste ja nicht, dass Bellman beweisen konnte, dass Leike Elias Skog unmittelbar vor dessen Ermordung angerufen hatte. Eine Person, von der Leike behauptete, nicht einmal ihren Namen zu kennen.
Bellman blickte in seine Papiere, hörte Leike den Raum betreten und Beavis, wie vorher vereinbart, die Tür hinter ihm schließen. »Setzen Sie sich«, sagte Bellman, ohne aufzublicken. Er hörte, dass Leike tat, wie ihm geheißen wurde.
Bellman hielt bei einem zufälligen Aktenblatt inne und fuhr sich mit dem Zeigefinger mehrmals über die Unterlippe, während er innerlich zu zählen begann. Die Stille vibrierte in dem kleinen, geschlossenen Raum. Eins, zwei, drei. Er hatte gemeinsam mit seinen Kollegen an einem Seminar über neue Verhörmethoden teilnehmen müssen, das sogenannte
investigative interviewing,
bei denen es irgendwelchen weltfremden Akademikern zufolge auf Offenheit, Dialog und Vertrauen ankam. Vier, fünf, sechs. Bellman hatte stillschweigend zugehört, schließlich war das Modell von oberster Stelle abgesegnet worden, sich dabei aber gefragt, wie sich diese Leute eigentlich die Kriminellen vorstellten, mit denen er und seine Kollegen es im Kriminalamt zu tun hatten. Zartbesaitete, kooperative Seelen, die einem alles erzählten, wenn man ihnen nur eine Schulter zum Ausweinen bot? Sie behaupteten, die bisherigen Methoden der Polizei, das traditionelle, neunstufige FBI-Modell, sei menschenfeindlich und manipulativ. Es bringe Unschuldige dazu. Taten zu gestehen, die sie nicht begangen hatten, und sei damit eine durch und durch kontraproduktive Vorgehensweise. Sieben, acht, neun. Okay, es konnte schon mal vorkommen, dass der eine oder andere leicht beeinflussbare Grünschnabel eingebuchtet wurde, aber was bedeutete das im Vergleich zu all den schadenfrohen Drecksäcken, die wieder gehen durften und sich kaputtlachten über »Offenheit, Dialog und Vertrauen«? Zehn.
Bellman legte die Fingerkuppen aneinander und hob den Blick.
»Wir wissen, dass Sie Elias Skog aus Oslo angerufen haben und dann zwei Tage später in Stavanger waren. Sie haben ihn getötet. Das sind die Fakten, die uns vorliegen, ich frage mich aber, warum Sie das getan haben? Oder hatten Sie gar kein Motiv, Leike?«
Der erste Schritt des neunstufigen FBI-Modells von Inbaud, Reid und Buckley: die Konfrontation, der Versuch, das Überraschungsmoment zu nutzen und den Gegner sofort k. o. zu schlagen, indem man vorgab, alles zu wissen, und ihm deutlich zeigte, dass Leugnen keinen Sinn hatte und nur ein Geständnis noch etwas bewirken konnte. In diesem Fall kombinierte Bellman Schritt eins mit einer anderen Taktik, nämlich eine Tatsache mit einer oder mehreren noch nicht bewiesenen Annahmen zu verknüpfen, also das über jeden Zweifel erhabene Datum des Telefonanrufs mit der Behauptung, dass Leike in Stavanger gewesen war und dort den Mord begangen hatte. Durch die Beweisführung im Zusammenhang mit der ersten Behauptung sollte Leike
Weitere Kostenlose Bücher