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Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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das schwarze Telefon, das vor Lene auf dem Tisch lag. Ihr Herz stockte. Seit Tony verschwunden war, hatte sie ihr Handy nicht mehr ausgeschaltet und immer in Reichweite. Sie nahm es und meldete sich: »Lene Galtung.«
    »Harry Hole, Morddezer… Äh, Kriminalamt. Tut mir leid, dass ich noch einmal stören muss, aber ich muss Sie wegen einer Sache um Hilfe bitten. Es geht um Tony.«
    Lenes Stimme drohte sich zu überschlagen, als sie antwortete: »Ist … ist etwas passiert?«
    »Wir suchen nach einer vermutlich abgestürzten Person unter einem Felsvorsprung in den Bergen bei Ustaoset …«
    Ihr wurde schwindelig, und der Fußboden schwang plötzlich nach oben, während die Zimmerdecke sich nach unten bewegte.
    »Wir haben sie noch nicht gefunden. Es hat geschneit, und das Suchgebiet ist extrem groß und unwegsam. Hören Sie mich?«
    »J… ja, doch.«
    Die Stimme des Polizisten – sie klang ein wenig heiser – fuhr fort: »Wenn die Leiche gefunden wird, wollen wir sie so schnell wie möglich identifizieren. Wir gehen davon aus, dass der Tote schwerste Brandverletzungen hat. Deshalb brauchen wir sofort die DNA aller Personen, die mit dem Opfer identisch sein könnten. Und Tony ist ja schon eine ganze Weile verschwunden …«
    Lene hatte das Gefühl, ihr Herz wollte durch ihren Hals nach oben steigen und aus ihrem Mund springen, während die Stimme am anderen Ende unbeeindruckt weiterredete.
    »Deshalb frage ich mich, ob Sie einem unserer Kriminaltechniker helfen könnten, zu Hause bei Tony Leike DNA -Spuren zu sichern.«
    »Was soll das sein?«
    »Ein Haar in einer Haarbürste, Speichel auf der Zahnbürste, die wissen schon, was sie brauchen. Das Wichtigste ist, dass Sie als seine Verlobte Ihr Einverständnis geben und mit einem Schlüssel zu seinem Haus kommen.«
    »N… natürlich.«
    »Vielen Dank. Dann schicke ich jetzt gleich einen Techniker in den Holmenveien.«
    Lene legte auf. Spürte Tränen aufsteigen und schob sich die Stöpsel wieder in die Ohren.
    Sie hörte Tracy Chapman noch die letzte Zeile singen, in der es darum ging, ein schnelles Auto zu nehmen und einfach zu verschwinden. Dann war das Lied zu Ende. Sie drückte auf Repeat.

KAPITEL 65
     
    Kadok
     
    N ydalen war das Bilderbuchbeispiel für den Niedergang der Industrie in Oslo. Die Industriebauten, die nicht abgerissen worden waren, um Platz für gefällige und chic designte Bürogebäude aus Glas und Stahl zu schaffen, waren zu Fernsehstudios, Restaurants und großen offenen Lofts aus rotem Backstein umgebaut worden, in denen die Belüftungs- und Wasserleitungsrohre offen über den Wänden lagen.
    Letztere wurden gern von Werbeagenturen gemietet, die damit ihre innovative Denkweise und Haltung unter Beweis stellen wollten: Kreativität kann genauso in billigen Industrieräumlichkeiten blühen wie in den teuren, repräsentativen Zentrumsbüros der Konkurrenz. Dabei kosteten die Räumlichkeiten in Nydalen mindestens genauso viel wie die in der Stadt, da alle Werbeagenturen im Grunde ihres Herzens traditionell tickten. Soll heißen: Sie folgten den neuesten Trends und zahlten den Preis dafür.
    Die Eigentümer des Geländes, auf dem die stillgelegte Kadokfabrik lag, hatten sich nicht an dieser Bonanza beteiligt. Als die Fabrik vierzehn Jahre zuvor nach jahrelangem Minusgeschäft und chinesischem Dumpinghandel von PSG schließlich die Pforten schloss, waren sich die Erben des Gründers gegenseitig an die Gurgel gesprungen. Und während sie darüber stritten, wer was bekommen sollte, verfiel die Fabrik auf dem abgelegenen Gelände hinter den Lattenzäunen am westlichen Ufer des Akerselva. Gestrüpp und Bäume wucherten ungehindert und schützten nach einer Weile die Fabrik vor neugierigen Blicken. Aus diesem Grund wirkte das große Vorhängeschloss am Eingangstor irgendwie seltsam, fand Harry.
    »Schneiden Sie es durch«, sagte er zu dem Polizeibeamten neben ihm.
    Die Backen des riesigen Bolzenschneiders bissen sich durch das Metall wie durch Butter, so dass das Schloss ebenso schnell geknackt war, wie Harry für die Ausstellung des Durchsuchungsbefehls gebraucht hatte. Der Staatsanwalt im Kriminalamt hatte ihm deutlich zu verstehen gegeben, dass er wahrlich wichtigere Dinge zu erledigen habe, als sich über Durchsuchungsbefehle Gedanken zu machen, und ihm umgehend einen fertig ausgefüllten Wisch in die Hand gedrückt. Harry hatte im Stillen gedacht, dass das Morddezernat auch ein paar gestresste, nonchalante Anwälte gebrauchen könnte.
    Die

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