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Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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gefunden. PSG -Spuren. Ich habe das gecheckt, es gibt tatsächlich eine stillgelegte PSG -Fabrik in Oslo, oben in Nydalen. Wenn die leer steht und der siebte Mann dort Sex mit Adele gehabt hat, finden wir da vielleicht auch noch Sperma.«
    »Hm. Frisch genagelt in Nydalen. Der siebte Mann scheint nicht mehr nur im Verborgenen zu vögeln. PSG , sagst du. Ist das aus der Kadokfabrik?«
    »Ja, wie …«
    »Der Vater von einem Freund hat da gearbeitet.«
    »Wiederhol das noch mal, es ist verdammt laut bei dir.«
    »Zieldurchlauf. Bis bald.«
    Harry steckte das Handy in seine Jackentasche und schwang den Stuhl halb herum, damit er die finsteren Verlierermienen rund um die Filzbahn nicht sehen musste, und freute sich stattdessen an dem breiten Grinsen des Croupiers: »Glattuliele wiedel, Hally!«
    Harry stand auf, zog seine Jacke an und blickte auf den Schein, den der Vietnamese ihm entgegenstreckte. Er zeigte das Porträt von Edvard Munch. Ein Tausender.
    »Sehr glatt«, sagte Harry. »Setz den im kommenden Lauf auf das grüne Pferd. Ich kassiere dann beim nächsten Mal, Duc.«
     
    Lene Galtung saß im Wohnzimmer und starrte in die Doppelfenster, in denen ihr Spiegelbild gleich zweimal zu sehen war. Ihr iPod spielte Tracy Chapman. Fast Car . Sie konnte den Song immer wieder hören und wurde ihn nie leid. Es ging darin um ein armes Mädchen, das davon träumt, von allem wegzulaufen, alle Brücken abzubrechen und sich einfach in das schnelle Auto ihres Freundes zu setzen und aus ihrem Leben wegzufahren, weg von dem Job an der Kasse des Supermarktes, weg von ihrem betrunkenen Vater. Der Text des Liedes hätte nicht weiter von Lene Galtungs Leben entfernt sein können, aber trotzdem hatte sie das Gefühl, dass Tracy Chapman von ihr sang. Auf jeden Fall von der Lene, die sie hätte sein können. Die sie eigentlich war. Die eine der beiden in dem doppelten Spiegelbild. Die gewöhnliche, graue Lene. Ihre gesamte Schulzeit hatte sie eine Heidenangst davor gehabt, dass die Tür des Klassenzimmers plötzlich aufflog, jemand eintrat, den Zeigefinger auf sie richtete und rief: »Haben wir dich endlich! Zieh auf der Stelle die schönen Kleider aus.« Dann würden sie ihr ein paar Lumpen zuwerfen und sagen, dass nun endlich alle sehen könnten, wer sie wirklich war, eine Waise. Sie hatte sich versteckt, jahraus, jahrein, keinen Mucks gemacht und immer nur zur Tür geblickt und gewartet. Auf die Worte ihrer Freundinnen geachtet und nach einem Tonfall gesucht, der zu erkennen gab, dass sie entlarvt worden war. Die Scham, die Angst, die Art, wie sie sich selbst zu schützen versuchte, wirkten auf die anderen arrogant. Und sie wusste, dass sie ihre Rolle als reiches, perfektes, verwöhntes und sorgloses Mädchen übertrieb. Sie war weder schön noch brillant wie die anderen Mädchen in ihrem Umfeld, die mit nonchalanter Selbstsicherheit ausriefen »Ich hab ja keine Ahnung«, wohl wissend, dass das, was sie nicht wussten, kaum von Belang sein konnte und dass die Welt von ihnen ohnehin nicht mehr erwartete, als schön zu sein. Also musste sie so tun als ob. Als ob sie schön wäre, brillant und über alles erhaben. Doch sie war das alles so leid. Hätte sich am liebsten einfach in Tonys Auto gesetzt und ihn gebeten, mit ihr wegzufahren. An einen Ort, an dem sie die eine, echte Lene sein konnte und nicht die zwei falschen Personen, die einander hassten. Tracy Chapman sang, dass sie gemeinsam, Tony und sie, ans Ziel gelangen konnten.
    Das Spiegelbild auf dem Glas bewegte sich. Lene zuckte zusammen, als sie erkannte, dass das Gesicht nicht mehr ihres war. Sie hatte sie nicht kommen hören. Lene richtete sich auf und nahm die Ohrenstöpsel heraus.
    »Stell den Kaffee dahin, Nanna.«
    »Du solltest ihn vergessen, Lene.«
    »Ach, hör auf.«
    »Ich meine ja nur. Er war kein guter Mann für dich.«
    »Hör auf, sage ich!«
    »Psst!« Die Frau stellte das Tablett laut und klirrend auf den Tisch. Ihre türkisfarbenen Augen blitzten. »Du musst zur Vernunft kommen, Lene. Das mussten wir in diesem Haus alle, wenn die Umstände es von uns verlangten. Ich sage das bloß als deine …«
    »Als meine was?«, schnaubte Lene. »Sieh dich doch an. Was kannst du schon für mich sein?«
    Die Frau strich mit den Händen über ihre weiße Schürze und wollte Lene die Hand auf die Wange legen, aber Lene wedelte sie weg. Das Seufzen der Frau klang wie ein Tropfen in einem tiefen Brunnen. Dann drehte sie sich um und ging. Als die Tür hinter ihr zuschlug, klingelte

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