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Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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drei mal drei Meter schätzte – hatte keine Fenster. Das Licht streifte einen schwarzen Klappstuhl, einen Schreibtisch mit einer Schreibtischlampe und einem Bildschirm der Marke Dell. Die Tastatur hatte ein intaktes E und N. Der Tisch war aufgeräumt und hatte sauber geschliffene Kanten, ohne blaue Flecken. Im Papierkorb lagen Papierstreifen, als hätte jemand Bilder ausgeschnitten. Und eine Ausgabe des Dagbladet, aus deren Titelseite tatsächlich etwas herausgeschnitten worden war. Harry las die Schlagzeile über dem Loch und wusste, dass sie am Ziel waren. Hier war es.
    » IN LAWINE UMGEKOMMEN «.
    Harry hob reflexartig die Lampe und richtete den Lichtkegel, vorbei an ein paar blauen Flecken, auf die Wand über dem Schreibtisch. Da hingen sie.
    Alle.
    Marit Olsen, Charlotte Lolles, Borgny Stem-Myhre, Adele Vetlesen, Elias Skog, Jussi Kolkka. Und Tony Leike.
    Harry konzentrierte sich darauf, tief in den Bauch zu atmen. Die Informationen Schritt für Schritt abzuspeichern. Die Bilder waren aus Zeitungen ausgeschnitten oder auf A4-Blättern ausgedruckt worden, wahrscheinlich von den Homepages der Onlineausgaben der Zeitungen. Außer der Aufnahme von Adele. Harrys Herz fühlte sich an wie eine Basstrommel, die mit dumpfen Schlägen versuchte, Blut in sein Gehirn zu pumpen. Das Foto war auf Fotopapier ausgedruckt worden, aber so grobkörnig, dass er eine stark vergrößerte Tele-Aufnahme vermutete. Es zeigte das Seitenfenster eines Autos. Adele war im Profil auf dem Beifahrersitz zu erkennen, der mit einer Schutzfolie überzogen war. Aus ihrem Hals ragte etwas heraus. Ein langes Messer mit glänzend gelbem Schaft. Harry zwang seinen Blick weiter. Unter den Bildern hingen Briefe, es waren ebenfalls Computerausdrucke. Harry überflog die einleitenden Sätze auf einem Blatt.
    ES IST SO EINFACH. ICH WEISS, WEN DU UMGEBRACHT HAST.
    DU WEISST NICHT, WER ICH BIN, ABER DU WEISST, WAS ICH VERLANGE.
    GELD. WENN NICHT, KOMMT DER ONKEL POLIZIST. EINFACH, WAS ?
    Der Text war noch nicht zu Ende, aber seine Augen glitten nach unten zum Ende des Briefes. Kein Name, kein Gruß. Der Beamte stand in der Tür. Harry hörte, wie er mit der Hand die Wand abtastete und murmelte: »Hier muss doch irgendwo ein Lichtschalter sein.«
    Harry richtete die Taschenlampe an die Decke, auf vier lange Neonröhren.
    »Eigentlich ja«, sagte Harry und bewegte den Lichtstrahl zurück zur Wand, über mehrere blaue Flecken, bis er an einem Blatt hängenblieb, das rechts von den Bildern an die Wand gepinnt war. Im hintersten Winkel seines Gehirns begannen leise ein paar Alarmglocken zu schrillen. Das Blatt war am Rand ausgefranst und mit Linien in Spalten eingeteilt, in denen handschriftlich etwas eingetragen war. In verschiedenen Handschriften.
    »Hier ist er«, sagte der Beamte.
    Harry dachte aus unerfindlichen Gründen plötzlich an die Schreibtischlampe. Und die blaue Decke. Und den Ammoniakgeruch. Und begriff schlagartig, dass der Alarm in seinem Kopf nicht dem Blatt Papier geschuldet war.
    »Nicht …«, setzte Harry an.
    Aber zu spät.
    Die Explosion war keine Explosion im eigentlichen Sinn, sondern – wie später im Bericht der Feuerwehr zu lesen sein würde
    – ein explosionsartiger Brand, verursacht durch einen Funken aus den Stromkabeln, die in eine Box mit Ammoniakgas führten, das wiederum das PSG entzündete, mit dem die Decke und teilweise auch die Wand gestrichen waren.
    Harry rang nach Luft, als der Sauerstoff von den Flammen angesaugt und sein Kopf von dem Hitzeschwall getroffen wurde. Er sackte automatisch auf die Knie und fuhr sich mit den Händen durchs Haar, um nachzuprüfen, ob es brannte. Als er den Blick nach oben richtete, sah er Flammen aus den Wänden schießen. Er wollte Luft holen, konnte sich aber gerade noch beherrschen. Kam auf die Beine. Die Tür war nur zwei Meter entfernt, aber er musste … Er streckte die Hand nach dem Blatt aus. Nach der Seite aus dem Gästebuch der Håvasshütte.
    »Weg!« Der Beamte stand mit dem Feuerlöscher unter dem einen Arm und dem Schlauch in der anderen Hand im Türrahmen. Wie in Zeitlupe sah Harry den Schaum auf sich zukommen. Sah den bräunlich gelben Strahl aus dem Schlauch schießen und gegen die Wand klatschen. Braun, was hätte weiß sein sollen, und flüssig statt Pulver. Noch bevor er in den Schlund der Flammen schaute, die sich wie auf Zehen emporreckten und der Flüssigkeit entgegenspien, noch bevor er das süßliche Beißen des Benzingeruches in der Nase spürte und die Flammen

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