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Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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bestimmt noch oben im Schuppen steht. Dann ließ er den Wagen bis unter das Wasser gleiten und blockierte ihn dort, bis das Holz ein paar Wochen später verwendet werden konnte. Simonsen war ein praktisch veranlagter Mann.«
    Sie zuckten alle zusammen, als plötzlich ganz in ihrer Nähe im Wald ein Tier blökte.
    »Schafe«, sagte Skai. »Oder ein Hirsch.«
    Sie folgten Skai über eine schmale Holztreppe in den ersten Stock. In der Mitte des Raums stand ein riesiger Langtisch, während die beiden flurartigen Enden des Raumes im Dunkel verschwanden. Der Wind pfiff durch die Fenster, deren Scheiben nur noch als eine Art Splitterkranz im Rahmen steckten, und ließ den von Motten zerfressenen Brautschleier der Frau flattern. Es war eine Büste, die über das Wasser schaute. Unter Kopf und Torso war das Skelett zu erkennen: ein schwarzes Stahlstativ auf Rädern.
    »Simonsen hat sie als Vogelscheuche benutzt«, sagte Skai und nickte in Richtung Schaufensterpuppe.
    »Ganz schön gruselig«, sagte Kaja und stellte sich fröstelnd neben Skai.
    Er sah sie von der Seite an und lächelte schief: »Die Kinder in der Umgebung hatten eine Heidenangst vor ihr. Die Erwachsenen erzählten, bei Vollmond spuke sie und mache Jagd auf den Mann, der sie an ihrem Hochzeitstag betrogen hatte. Und dass man das Quietschen der ungeschmierten Räder hörte, wenn sie sich näherte. Ich bin gleich hinter dem Haus hier aufgewachsen, wissen Sie, in Haga.«
    »Ach nein?«, sagte Kaja, und Harry unterdrückte ein Lächeln.
    »Doch«, bestätigte Skai. »Das war im Übrigen die einzige Frau, mit der Simonsen jemals Kontakt hatte, jedenfalls soweit man weiß. Er war ein ziemlicher Einzelgänger, wissen Sie. Aber Seile machen, das konnte er.«
    Hinter ihm nahm Bjørn Holm eine Seilrolle von einem dicken Nagel, der in der Wand steckte.
    »Habe ich gesagt, dass Sie etwas anfassen dürfen?«, fragte der Dorfpolizist, ohne sich umzudrehen.
    Bjørn beeilte sich, das Seil wieder zurückzuhängen.
    »Okay, Chef«, sagte Harry und lächelte Skai an, ohne seine Zähne zu zeigen. »Dürfen wir etwas anfassen?«
    Der Polizist sah Harry fragend an. »Ihr habt mir noch nicht einmal gesagt, um was für einen Fall es eigentlich geht.«
    »Tut mir leid«, sagte Harry. »Streng geheim, Wirtschaftskriminalität. Sie verstehen schon.«
    »Ach ja? Wenn Sie der Harry Hole sind, der ich glaube, dann arbeiten Sie an Mordfällen.«
    »Tja«, sagte Harry. »Inzwischen beschäftige ich mich eher mit Insiderhandel, Steuerhinterziehung und Betrug. Manch einer klettert irgendwann im Leben eben die Karriereleiter nach oben.«
    Der Polizist kniff ein Auge zusammen. Draußen schrie wieder ein Vogel.
    »Sie haben natürlich recht, Skai«, sagte Kaja und seufzte. »Aber es bleibt dann wieder an mir hängen, wenn wir erst zum Staatsanwalt müssen, um uns einen Durchsuchungsbefehl zu beschaffen. Wir sind, wie Sie wissen, unterbesetzt, und es würde uns viel Zeit ersparen, wenn wir …« Sie lächelte mit ihren kleinen, spitzen Zähnen und nickte in Richtung Seil.
    Skai sah sie an. Wippte ein paarmal auf seinen Gummistiefelsohlen vor und zurück und nickte schließlich.
    »Ich warte unten im Boot«, sagte er.
    Bjørn legte sofort los. Er warf die Seilrolle auf den Tisch, öffnete den kleinen Rucksack, den er mitgebracht hatte, schaltete eine Taschenlampe ein, an der Klemmen befestigt waren, mit denen er sie an den Deckenbalken befestigen konnte. Dann nahm er seinen Laptop heraus, ein tragbares Mikroskop in der Größe und Form eines Hammers, schloss es über den USB -Port am Laptop an, vergewisserte sich, dass auf dem Bildschirm etwas zu erkennen war, und lud ein Foto hoch, das er vor ihrem Aufbruch auf dem Laptop gespeichert hatte.
    Harry stellte sich neben die Braut und sah auf den See hinaus. Im Kahn war die Glut einer Zigarette zu erkennen. Er betrachtete die im Wasser verschwindenden Schienen. Die tiefe Seite. Harry hatte noch nie gern in Süßwasser gebadet, erst recht nicht, nachdem er einmal mit Øystein zusammen die Schule geschwänzt hatte und zum Hauktjørn in der Østmarka hinauf gefahren war. Dort waren sie von der Teufelsklippe gesprungen, einem angeblich zwölf Meter hohen Felsen. Unmittelbar vor dem Auftreffen auf der Wasserfläche hatte Harry eine Kreuzotter unten im Wasser erblickt, dann war er auch schon von dem glasgrünen, eiskalten Dunkel umfangen gewesen. In Panik hatte er den halben See geschluckt und war bis ins Mark davon überzeugt gewesen, nie wieder ans

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