Leopard
wissen.
»Wenn der Täter irgendwo am Lyseren wohnt, muss vermutlich eine große Nachbarschaftsbefragung durchgeführt werden. Wir haben weder die Möglichkeit noch die Leute dafür.«
Bjørn Holm schlug auf das Lenkrad.
»Ich weiß«, sagte Harry. »Aber das Wichtigste ist doch, dass er geschnappt wird, und nicht, von wem.«
Sie fuhren schweigend weiter, aber der hohle Klang seiner falschen Worte hing in der Luft.
KAPITEL 20
Øystein
D er Strom war abgeschaltet worden. Harry stand im dunklen Flur und knipste den Schalter ein paarmal hin und her. Das Gleiche im Wohnzimmer.
Er setzte sich in den Ohrensessel und starrte in die Dunkelheit.
Nachdem er eine Weile dort gehockt hatte, klingelte sein Handy.
»Hole.«
»Felix Røst.«
»Ja, bitte?«, fragte Harry verunsichert, weil die Stimme sich eher nach einer kleinen, zierlichen Frau anhörte.
»Ich bin Frida Larsen, seine Schwester. Er hat mich gebeten, Sie anzurufen und Ihnen zu sagen, dass es sich bei der Gesteinsprobe, die Sie gefunden haben, um mafische, basaltische Lava handelt. In Ordnung?«
»Moment! Was bedeutet das? Mafisch?«
»Es handelt sich um heiße Lava, über tausend Grad warm, niederviskos, so dass sie schnell fließen und sich nach einem Ausbruch weit verbreiten kann.«
»Gibt es so etwas in Oslo?«
»Nein.«
»Warum nicht? Oslo liegt doch auch auf Lava.«
»Alte Lava. Aber diese hier ist frisch.«
»Wie frisch?«
Er hörte, wie sie die Hand auf den Hörer legte und mit jemandem sprach. Oder zu jemandem, denn er hörte keine anderen Stimmen. Sie musste trotzdem eine Antwort erhalten haben, denn gleich darauf war sie wieder da:
»Er meint, das sei so genau nicht zu sagen. Irgendetwas zwischen fünf und fünfzig Jahren. Und er meint, Sie hätten ein gewaltiges Stück Arbeit vor sich, wenn Sie herausfinden wollen, aus welchem Vulkan die Steine stammen. Es gibt mehr als eintausendfünfhundert aktive Vulkane auf der Welt. Und das sind nur die, die man kennt. Wenn Sie sonst noch etwas wissen wollen, können Sie Felix eine Mail schicken. Ihre Assistentin hat seine Adresse.«
»Aber …«
Sie hatte bereits aufgelegt.
Er überlegte zurückzurufen, entschied sich dann aber um und wählte stattdessen eine andere Nummer.
»Oslo Taxi.«
»Hi, Øystein, hier ist Harry Hole.«
»Du machst Witze, Harry ist tot.«
»Nicht ganz.«
»Okay, dann bin ich tot.«
»Lust, mich von der Sofies gate nach Hause zu fahren, ich meine, dahin, wo ich aufgewachsen bin?«
»Nee, aber machen tu ich’s trotzdem. Muss nur erst noch diese Fahrt zu Ende bringen.« Øystein lachte hustend. »Harry Ho! Verdammt … Ich ruf dich an, wenn ich da bin.«
Harry legte auf, ging ins Schlafzimmer, packte im Licht der Straßenlaterne, die draußen vor dem Fenster stand, eine Tasche und suchte dann mit Hilfe des leuchtenden Handydisplays ein paar CDs im Wohnzimmer zusammen. Zuletzt steckte er die Stange Zigaretten, die Handschellen und die Dienstwaffe ein.
Er setzte sich in den Ohrensessel und nutzte die Dunkelheit, um die Revolverübung zu wiederholen. Startete die Stoppuhr an seiner Armbanduhr, kippte die Trommel aus der Smith & Wesson, leerte sie und lud neu. Vier Patronen raus, vier neue rein, ohne Schnelllader, nur mit Hilfe seiner raschen Finger. Schwang die Trommel wieder hinein, so dass die erste Patrone abschussbereit war. Stopp. Neun sechsundsechzig. Fast drei Sekunden über seinem persönlichen Rekord. Er kippte die Trommel wieder heraus und musterte sie im hereinfallenden Licht. Er hatte verloren. Die erste Kammer, die bereit zum Ab feuern war, war eine von den zwei leeren. Er war tot. Er wiederholte die Übung. Neun fünfzig. Und wieder tot. Als Øystein nach zwanzig Minuten anrief, hatte er seine Zeit auf acht Sekunden gedrückt und war sechsmal gestorben.
»Komme«, sagte Harry.
Er ging in die Küche. Blickte auf die Schranktür unter dem Waschbecken. Zögerte. Dann nahm er die Aufnahmen von Rakel und Oleg und steckte sie in die Innentasche.
»Hongkong«, schnaubte Øystein Eikeland und wandte ihm sein vom Alkohol aufgedunsenes Gesicht mit der gewaltigen Nase und dem traurigen Seehundbart zu. »Was, verdammt, wolltest du denn da?«
»Du kennst mich«, sagte Harry, als Øystein bei Rot vor dem Radisson SAS Hotel anhielt.
»Blödsinn, tue ich nicht«, sagte Øystein und streute Tabak auf ein Blättchen. »Wie kommst du darauf?«
»Nun, wir sind zusammen aufgewachsen. Erinnerst du dich?«
»Ja und? Du warst schon damals das reinste
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