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Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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wohin er fahren wollte. Was er tun sollte. Wohl aber, dass er die Einsamkeit in dem Haus in Oppsal nicht ertragen würde.
    Er wählte Øysteins Nummer.
    Øystein Eikeland war auf einer Langstreckenfahrt nach Fagernes, schlug ihm aber vor, sich gegen Mitternacht im Lompa auf ein Bier zu treffen, um zu feiern, dass ein weiterer Arbeitstag in seinem Leben mehr oder minder gut über die Bühne gegangen war. Harry erinnerte Øystein an seinen Alkoholismus und durfte sich anhören, dass sich doch wohl auch ein Alkoholiker mal besaufen dürfe.
    Harry wünschte Øystein eine gute Fahrt und legte auf. Achtundvierzig Stunden. Warum?
    Vor ihm hielt eine Straßenbahn und öffnete scheppernd ihre Türen. Harry starrte in den einladend warmen, hellen Wagen, machte auf dem Absatz kehrt und ging bergab in Richtung Stadt.

KAPITEL 27
     
    Nett, diebisch und geizig
     
    I ch war gerade in der Gegend«, sagte Harry. »Aber du willst weg, oder?«
    »Nein, ach was«, sagte Kaja lächelnd. Sie stand in einer dicken Daunenjacke in der Tür. »Ich sitze auf der Veranda. Komm rein. Du kannst die Pantoffeln da anziehen.«
    Harry zog die Schuhe aus und folgte ihr durchs Wohnzimmer. Auf der überdachten Terrasse nahmen sie auf zwei gewaltigen Holzsesseln Platz. Es war still und menschenleer auf dem Lyder Sagens vei, nur ein einziges Auto parkte dort. Im Haus gegenüber konnte Harry im ersten Stock einen Mann in einem hell erleuchteten Fenster erkennen.
    »Das ist Greger«, sagte Kaja. »Er ist jetzt achtzig. Ich glaube, er sitzt seit dem Krieg da und verfolgt alles, was auf der Straße passiert. Der Gedanke, dass er auf mich aufpasst, gefällt mir irgendwie.«
    »Ja, man braucht das«, sagte Harry und nahm ein Päckchen Zigaretten heraus. »Das Gefühl, dass jemand auf einen aufpasst.«
    »Hast du auch einen Greger?«
    »Nein«, sagte Harry.
    »Krieg ich auch eine?«
    »Eine Zigarette?«
    Sie lachte. »Ich rauche hin und wieder eine. Das macht mich … ruhiger, glaube ich.«
    »Hm. Schon ’ne Idee, was du machen willst? Ich meine, wenn die vierzig Stunden vorbei sind?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Zurück ins Dezernat. Füße auf den Tisch legen und darauf warten, dass ein Mord passiert, der unbedeutend genug ist, damit uns das Kriminalamt den nicht auch wegschnappt.«
    Harry schnippte zwei Zigaretten aus der Packung, steckte sie sich zwischen die Lippen, zündete beide an und reichte ihr eine davon.
    »Reise aus der Vergangenheit« , sagte sie lachend. »Hen… Hen… Wie hieß der noch mal?«
    »Henreid«, sagte Harry. »Paul Henreid.«
    »Und die, für die er die Zigarette anmacht?«
    »Bette Davis.«
    »Ein echter Killer-Film. Brauchst du eine dickere Jacke? Soll ich dir eine leihen?«
    »Nein danke. Warum sitzt du eigentlich auf der Terrasse? Es ist ja nicht gerade warm.«
    Sie hielt ein Buch hoch. »Mein Hirn ist bei kalter Luft aufnahmefähiger.«
    Harry schaute auf die Titelseite: » Materialistischer Monismus, hm, hat was mit Philosophie zu tun, oder?«
    »Stimmt. Der Materialismus behauptet, dass alles nur Materie und Kraft ist. Alles, was geschieht, ist Teil einer großen Rechenaufgabe, eine Kettenreaktion, die Konsequenz von etwas längst Geschehenem.«
    »Und der freie Wille ist bloß eine Einbildung?«
    »Richtig. Unsere Handlungen sind von der chemischen Zusammensetzung unseres Gehirns abhängig, und die wiederum hängt davon ab, wer mit wem Kinder gezeugt hat, was wiederum von deren Hirnchemie abhängt. Und so weiter und so fort. Alles kann zurückverfolgt werden bis zum Big Bang, wenn nicht noch weiter. Sogar die Tatsache, dass dieses Buch geschrieben wurde, oder was du jetzt in diesem Augenblick denkst.«
    »Daran erinnere ich mich«, sagte Harry mit einem Nicken und blies Rauch in die Nacht. »Ich muss dabei immer an diesen Meteorologen denken, der mal gesagt hat, dass er das Wetter der gesamten Zukunft vorhersagen könnte, wenn er die relevanten Variablen hätte.«
    »Und wir könnten dann Morde verhindern, bevor sie geschehen.«
    »Und im Voraus wissen, dass Zigaretten schnorrende Polizistinnen mit teuren Philosophiebänden auf kalten Terrassen sitzen.«
    Sie lachte. »Ich habe mir das Buch nicht selbst gekauft, es stand im Regal.« Sie machte einen Schmollmund, als sie an der Zigarette zog, und bekam Rauch in die Augen. »Ich kaufe nie Bücher, ich leihe sie mir aus. Wenn ich sie nicht klaue.«
    »Ich kann mir dich absolut nicht als Diebin vorstellen.«
    »Das kann niemand, deshalb werde ich ja auch nie geschnappt«,

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