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Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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sagte sie und legte die Zigarette auf den Aschen becher.
    Harry räusperte sich. »Und warum stiehlst du?«
    »Ich stehle nur von Leuten, die ich kenne und denen das nicht wehtut. Nicht weil ich so gierig bin, eher wohl aus Geiz. Im Studium habe ich in der Uni Klorollen geklaut. Ist dir inzwischen eigentlich der Titel dieses Fante-Buches eingefallen, das dir so gefallen hat?«
    »Nein.«
    »Schick mir eine SMS , wenn er dir einfällt.«
    Harry lachte kurz. »Sorry, aber ich schicke keine SMS .«
    »Warum nicht?«
    Er zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Mir gefällt das Konzept nicht. Wie Eingeborene, die nicht fotografiert werden wollen, weil sie glauben, dadurch ihre Seele zu verlieren. Ich weiß auch nicht.«
    »Ich hab’s!«, rief sie. »Du willst keine Spuren hinterlassen. Nichts, das unwiderruflich beweisen könnte, wer du warst. Du willst sicher sein, dass du verschwinden kannst. Voll und ganz.«
    »Volltreffer«, sagte Harry trocken und inhalierte. »Willst du nicht reingehen?« Er blickte auf ihre Hände, die sie zwischen Schenkel und Sitz geschoben hatte.
    »Nein, ich hab bloß kalte Hände«, erwiderte sie lächelnd. »Mein Herz ist warm. Was ist mit dir?«
    Harry blickte über den Gartenzaun auf die Straße. Zu dem Auto, das dort stand. »Was soll mit mir sein?«
    »Bist du wie ich? Nett, diebisch und geizig?«
    »Nein, ich bin bösartig, ehrlich und geizig. Was ist mit deinem Mann?«
    Es klang härter, als Harry es meinte, als wollte er sie zurechtweisen, weil sie … ja warum? Weil sie hier saß, bezaubernd war, die gleichen Dinge mochte wie er und ihm die Pantoffeln eines Mannes anbot, von dem sie ihm allem Anschein nach nichts sagen wollte.
    »Was soll mit dem sein?«, fragte sie mit einem Lächeln.
    »Große Füße, auf jeden Fall«, hörte Harry sich selbst sagen und spürte den unbändigen Drang, den Kopf auf die Tischplatte zu knallen.
    Ihr Lachen rollte durch die schwarze Fagerborg-Stille, die über den Häusern, Gärten und Garagen lag. Garagen. Hier hatten alle Häuser Garagen. Nur ein Auto stand auf der Straße. Klar, es konnte tausend Gründe dafür geben, warum das dort stand.
    »Ich bin nicht verheiratet«, sagte sie.
    »Dann …«
    »Die Pantoffeln, die du trägst, gehören meinem Bruder.«
    »Und die auf der Treppe …?«
    »Auch von meinem Bruder … Ich hab sie dahin gestellt, weil ich glaube, dass Herrenschuhe in Größe 46 eine abschreckende Wirkung auf bösartige Männer mit üblen Absichten haben.«
    Sie warf Harry einen vielsagenden Blick zu, der sich einzureden versuchte, dass die Zweideutigkeit unbeabsichtigt war.
    »Dann wohnt dein Bruder hier?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Er ist tot. Seit zehn Jahren. Das ist das Haus meines Vaters. In den letzten Jahren, als Even hier in Oslo studierte, haben Papa und er hier gewohnt.«
    »Und dein Vater?«
    »Der ist kurz nach Even gestorben. Aber da war ich hier schon eingezogen. Ich hab einfach sein Haus samt Einrichtung übernommen.«
    Kaja zog ihre Beine auf den Stuhl und legte den Kopf auf die Knie. Harry blickte auf den schlanken Nacken, die Mulde unter dem Ansatz der hochgesteckten Haare. Eine einzelne Strähne fiel über ihren Hals.
    »Denkst du oft an sie?«, fragte Harry.
    Sie hob den Kopf von den Knien.
    »Vor allem an Even«, sagte sie. »Papa hat uns verlassen, als wir noch klein waren, und Mama lebte in ihrer eigenen Welt. Even war irgendwie Mutter und Vater für mich. Er hat mir geholfen, mich motiviert, hat mich erzogen und war mein Vorbild. In meinen Augen war er perfekt, fehlerlos. Wenn man sich so nah war wie Even und ich, verlässt einen dieses Gefühl nie. Niemals.«
    Harry nickte.
    Kaja räusperte sich vorsichtig. »Wie geht es deinem Vater?«
    Harry starrte auf die Glut seiner Zigarette.
    »Findest du das nicht komisch?«, fragte er. »Dass Hagen uns achtundvierzig Stunden gegeben hat? Das Büro hätten wir locker in zwei Stunden ausgeräumt.«
    »Tja. Jetzt, wo du das sagst.«
    »Vielleicht will er, dass wir die letzten zwei Arbeitstage sinnvoll nutzen.«
    Kaja sah ihn an.
    »Natürlich, ohne die aktuellen Mordfälle zu untersuchen. Das überlassen wir dem Kriminalamt. Aber ich habe gehört, dass die Vermisstenstelle Hilfe braucht.«
    »Wie meinst du das?«
    »Adele Vetlesen ist eine junge Frau, die, wenn ich richtig informiert bin, mit keinem Mordfall in Verbindung gebracht wird.«
    »Du meinst, wir sollten …«
    »Ich denke, wir sollten uns morgen früh um sieben im Büro treffen«, sagte Harry, »und uns

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