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Lerchenherzen

Lerchenherzen

Titel: Lerchenherzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Skjelbred
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heraus.
    Wenn ich zurückdenke, scheint es mir, als hätten unsere Besuche bei Mathilde in ihrer Kammer durch meine Kindheit hindurch täglich stattgefunden, aber tatsächlich war das nur eine kurze Zeitspanne. Allmählich verlor der Kuckuck gewiß seinen Zauber, und die Male, die wir deshalb in Mathildes Kammer zogen, wurden seltener, als wir heranwuchsen. Da saß sie dann wieder allein mit ihren Katzen und den Rufen des Kuckucks im Ohr.
    Wie einsam die Abende und Nächte hier gewesen sein mögen! Ich habe ja trotz allem dich. Mutter hatte mich und Ragnhild immerhin Nils-Jan, seit er sechs war. Die arme Mathilde hatte wohl niemanden, den sie richtig liebhatte. Jedenfalls glaubte ich das immer, bis sie gestorben war.
    Ach Mathilde, ich bin so froh, daß du Nils-Jans Tod nicht erleben mußtest, aber ich wünschte, du hättest Klein Jakob kennengelernt. Du könntest mit deinem schwarzen Rock und mit dem grauen Strickschal über den Schultern in deinem Schaukelstuhl am Fenster sitzen, mit meinem und Nils-Jans Sohn auf dem Schoß, und vor dich hin schimpfen, wie du das stets getan hast: »Mußt nicht so doll schreien! Garstiger Bub, sei schön brav!«
    Nun bin ich es, mein Kleiner, die hier mit dir sitzt und die gleichen Worte sagt, wenn du vor Wut schreist, weil du etwas zu essen haben willst oder trockene Windeln brauchst. Naß bis an die Ohren bist du und hast dich aus deinem Wickeltuch ganz und gar freigestrampelt. Wickeltücher benutzt man heute so gut wie nicht mehr. Inger jedenfalls lachte herzlich, als sie es sah, aber als ich mit dir schwanger war, fehlte es uns an Initiative, Babysachen anzuschaffen. Wir dachten an anderes. Deshalb hast du so wenige Strampelhosen, so daß ich zwischendurch das alte Wickeltuch benutzen mußte, das Mutter für mich hatte. Mitterweileist Inger mit einer ganzen Tüte voll winziger Hosen und Jacken und anderen Babysachen hier gewesen, die ich voller Freude benutze. Stell dir vor, ich kann mich wirklich wieder über etwas freuen!
    Als ich hier einzog, habe ich Mathildes Bettdecke gegen meine eigene ausgetauscht. Die ist weich, und ich kann dich gut darauf zurechtmachen; nicht so wie ihre schwere, alte Bettdecke mit dem steifen, selbstgewebten Bezug. Nils-Jan und ich fanden es unangenehm, die altmodische Decke anzufassen, das gibt so einen Schauder, so ein trockenes Gefühl an den Handflächen. Wenn wir zusammen übernachteten, stritten wir uns immer darum, wer auf der Seite liegen durfte, wo keine Úffnung im Bettbezug war, denn etwas von dem groben selbstgewebten Bezug schaute immer durch die Úffnung.
    Wir nannten ihn »Bürste« und hatten beide gleich viel Angst, daß das Zeug an unsere nackten Beine kommen könnte. Ich glaube wohl, daß ich die Kämpfe wegen der »Bürste« gewonnen habe, so wie die meisten unserer kleinen Streitereien. Nils-Jan war so lieb … Mein Lieber, wirst du tatsächlich niemals deinen Vater sehen? Ich kann es noch immer nicht fassen.

61
    Als sie krank war, versuchten wir, die schwere Decke gegen eine neue und leichtere auszuwechseln, aber das wollte Mathilde auf keinen Fall. Mit ihrer gesunden Hand hielt sie die Decke fest und nuschelte Dinge, die niemand von uns verstand – das war so seit ihrem ersten Schlaganfall. Oft wurde sie ziemlich aufbrausend, wenn es uns nicht gelang, herauszufinden, was sie meinte. Nach dem zweiten Schlaganfall weinte sie die meiste Zeit.
    So lag sie hier, damals, und sah noch gereizter aus als früher mit ihrem schiefen Mund. Durch die Tränen, die ihr aus den Augenwinkeln sickerten, wirkte sie so hilflos. Hin und wieder versuchte sie, mir etwas zu sagen, gab es aber mit einer resignierten oder verdrossenen Geste auf, wenn ich sie nicht verstand.
    Jeden Morgen wuschen und frisierten Ragnhild und ich sie und zogen sie an. Im Laufe des Tages wendeten wir sie von einer Seite zur anderen, sie sollte sich doch nicht wundliegen. Sie drehte sich jedesmal sofort zurück, ihr Starrsinn war der alte geblieben. Am Ende legte ich ihr den alten gelbroten Schwimmreifen aus meiner Kinderzeit unter, den ich in einen Kopfkissenbezug gesteckt hatte. Das schwächte den Druck etwas ab. Muttersagte, das macht man so im Altenheim, wo sie ein bißchen gearbeitet hatte, als sie jung war.
    Ich saß mit meiner Hardangerstickerei in ihrem Schaukelstuhl, während ich all die wohlbekannten Geräusche hörte und das Haus plante, das Nils-Jan und ich im nächsten Sommer bauen würden. Bis zum Herbst sollte es fertig sein, mein lieber kleiner Jakob. Dort

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