Lerchenherzen
vielem Angst, er war von Natur aus vorsichtig und ruhig. Und vielleicht hing das auch mit den Erlebnissen in seiner frühenKindheit zusammen. Er benimmt sich so wohlerzogen, sagte meine Mutter immer. Sie mochte Nils-Jan so gern, weil er so höflich und freundlich war. Und er hatte so eine besondere Art mit Kindern. Ingers Ølteste war schwer begeistert von ihm. Ich überlege, ob sie sich wohl an ihn erinnern wird, wenn sie groß ist.
Der Wettlauf um den Flieder endete natürlich mit Tränen, weil die kleine Dreijährige von ihrer großen Schwester ein bißchen zu unsanft umgeworfen worden war. Als Inger sie auf den Arm nahm und auf die Schürfwunde pustete, schien es mir kaum möglich, ein so großes Mädchen zu tragen. Im Verhältnis zu dir sind sie die reinsten Riesen.
Ich habe dich draußen frisch gewickelt. Inger sagte, ich könnte das ruhig draußen tun, Gnade ihr, wenn du krank wirst! Du lagst da und strampeltest begeistert mit deinen nackten molligen Beinchen, und deine klitzekleine Herrlichkeit stand geradewegs in die Luft. Die älteste Tochter schaute sich das fasziniert an und sagte: »Aber der hat ja einen Schwanz!«
Es war wunderbar, wieder von Herzen zu lachen. Das Angenehme mit Inger ist, daß sie so geradeheraus ist. Und im Gegensatz zu vielen anderen hat sie keine Angst, über Nils-Jan zu sprechen. Sie erinnerte mich an so viele Geschichten, die ich längst vergessen hatte. Inger ist immer eineEwigkeit älter gewesen als ich, aber Nils-Jan und ich spielten oft mit ihren kleineren Geschwistern, am meisten mit Hallvard und Anne-Grete. Die Rønnigen-Kinder und ich sind ja verwandt, von Mutters Seite her. Nils-Jan betrachtete sich auch als verwandt, weil Milda und Ragnhild Schwestern sind.
Nachdem ich dich bekommen hatte, kam es mir so vor, als sei ich beinahe gleich alt mit Inger, das hat wohl mit der Mutterrolle zu tun. Denk nur, ich bin Mutter! Mein liebes kleines Baby, denk nur, daß ich deine Mutter bin! Ach Nils-Jan, lieber Nils-Jan, ich bin dir so dankbar, daß du mir Klein Jakob geschenkt hast.
59
Gestern war Tante Milda hier mit der schönen weichen hellblauen Babydecke, auf der du gerade splitternackt liegst und munter strampelst. Sie hat sie selbst gehäkelt in einem hübschen Muster, und eigentlich hatte ich mir überlegt, daß wir sie nur für gut haben sollten, aber du bist jetzt frisch gebadet, und ich fand, du solltest einmal spüren können, wie herrlich weich sie ist. Ich habe dir eine Windel untergelegt, vorsichtshalber, aber –dir gelingt es, daneben zu machen, und genau auf die neue Decke, du kleiner Racker! Es ist völlig unmöglich, den kleinen Strahl, den du geradewegs in die Luft schickst, zu berechnen. Und der Ausdruck in deinem Gesichtchen ist haargenau so, wie ich es von deinem Vater erinnere, wenn er zusammen mit Hallvard auf der Scheunenbrücke stand und sie um die Wette pinkelten. Anne-Grete und ich, die in die Hocke gehen mußten, hatten in dem Wettstreit keine Chance. Na, wie es spritzt, wenn meine Tränen deinen nackten Bauch treffen, mein Lieber. Werde ich niemals aufhören, jedesmal zu heulen, wenn ich an deinen Vater denke?
Gestern war Hallvard hier mit Milda, und es ist ihm wirklich hoch anzurechnen, ich glaube beinahe, er hat geweint von dem Moment an, wo er kam, bis er ging. Er und Nils-Jan teilten sich eine Kajüte, sowohl in der letzten wie auch in dieser Saison. Und Hallvard sollte für Nils-Jan Trauzeuge sein jetzt im Sommer. Sie sagen, er habe es so schwer genommen, daß er es in diesen Wochen, seit er nach Hause gekommen ist, nicht geschafft hat, mich zu sehen. Hallvard, mein – unser – bester Freund seit der Kinderzeit, Hallvard, der Rabauke, voller verrückter Streiche.
Viele hier im Ort haben die Hände gerungen und überlegt, was aus dem wilden, ungebärdigen Kind werden solle. Dabei ist er immer außerordentlich empfindsam gewesen, und gestern saßer also hier und weinte und schaffte es kaum, dich anzusehen. Der arme, große nette Hallvard, es war gut, einmal selbst die Tröstende zu sein.
Tante Milda kam aus dem Staunen überhaupt nicht heraus deinetwegen, obwohl sie doch selbst so viele Kinder hat. Neun waren es auf Rønnigen, Hallvard ist Nummer sieben und war wohl der ungebärdigste, aber lebhaft waren sie alle, daran erinnere ich mich.
Alle Kinder halfen eifrig mit und wurden schon von klein auf zur Arbeit angehalten. Sowohl Nils-Jan als auch ich entkamen wohl leichter. Wir waren vermutlich eher ein bißchen verwöhnt. Dann liefen wir
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