Lerchenherzen
immer wieder den Kopf einer schnurrenden Katze streichelte? In der Regel lag da die alte graubraune Hauskatze, die älter war als Nils-Jan und ich. Zwanzig Jahre wurde sie, glaubt Ragnhild, und hatte eine Unmenge von Nachkommen.
Als sie starb, nur wenige Wochen nach Mathilde, bekam sie ihr eigenes Grab unter dem Fliederbusch im Garten. Sonst landen die Katzen des Hofs, die eines natürlichen Todes sterben und nicht vom Fuchs geholt werden, meistens einfach auf dem Misthaufen.
Es kommt mir vor, als sei es ein anderes Leben gewesen, als ich hier in dem Schaukelstuhl saß und Mathilde gepflegt habe. Gegen Ende mußte immerzu jemand bei ihr sein, und meistens war ich es, die hier saß, denn Ragnhild war mit der Ausrüstung von Lars und Nils-Jan für die Saison beschäftigt.
Und bei der Arbeit auf dem Hof mit dem Getreide und dem Gemüse, das geerntet werden mußte, wurde jede freie Hand gebraucht. Hin undwieder fragte ich mich, ob sie der Lärm draußen störte, die Geräusche des Traktors oder des Mähdreschers, das Klappern der Milchkannen, gar nicht zu reden von dem Treiben, das mit den Kartoffelerntehelfern hier herrschte. Es schien aber nicht so. Alle Geräusche des Hofs waren ihr ja so vertraut. Eher wurde sie in der Stille gegen Abend unruhiger.
Dann begannen ihre Hände manchmal die rastlose Wanderung über die Bettdecke. Mathilde benutzte in all den Jahren eine altmodische grobe, blau-weiß gestreifte Bettdecke mit dem Überschlaglaken. Ja, das waren die Bezüge unserer Kindheit hier auf Ås.
Jetzt liegen sie und die dazugehörigen Kopfkissenbezüge in der großen Holztruhe von Mathildes Großmutter, der Mutter von Anders Irgendeiner. Groß und schwarz steht sie am Fußende des Bettes; auf dem gebogenen Deckel in kunstvoll geschmiedeten Schnörkeln die Jahreszahl 1864 über den Buchstaben J. K. A., was Johanne Kristine Andersdatter heißt. Mathilde erzählte uns das, als dein Vater und ich klein waren und nebeneinander auf der Truhe saßen – einen von Mathildes säuerlichen Drops im Mund – und darauf warteten, daß der Kuckuck rufen würde.
Nils-Jan war immer so fasziniert von der Kuckucksuhr. Mathilde kaufte sie kurze Zeit, nachdem Nils-Jan hierhergekommen war, und siehängt noch immer da, aber ich habe sie angehalten, weil ich Angst habe, ihr energisches »Kuckuck« könnte dich wecken. Wenn du größer bist, werde ich sie wieder anstoßen, und dann werden wir uns über den kleinen Kuckuck freuen, so wie er es tat.
Weißt du, wenn wir am Jakobshügel spielten und die Essensglocke schlug, warf Nils-Jan alles, was er in Händen hielt, weg und rannte wie der Wind über die Au, um den Kuckuck zu hören. Natürlich folgte ich ihm auf den Fersen, und natürlich schafften wir es immer rechtzeitig bis in Mathildes Zimmer, ehe der Kuckuck hervorlugte und seine elf Rufe losließ. Ja, wir schafften es sogar, rechtzeitig auf unseren Platz auf der Truhe zu kommen und von Mathilde die tägliche Ration an Drops aus der blumigen Dose im Eckschrank an der Wand zu bekommen, ehe er loslegte.
Und ehe er anfing, konnte Mathilde noch alle ihre barschen Ermahnungen loswerden, »sitzt ordentlich!« und »baumelt nicht mit den Beinen gegen die Truhe« und so fort, wie sie das immer tat. Oder doch nicht? War sie unter Umständen weniger streng, als ich sie in Erinnerung habe? Ich sehe heute so vieles anders als damals, als ich ein Kind war.
Nicht einmal, als wir die Uhr konnten, überlegten wir, wieso die Kuckucksuhr immerzu fünf Minuten nachging. Bei Mathilde, die es mit dem Stellen der Uhren stets so genau nahm! Und niewunderten wir uns, daß sie in der Kammer war, wenn wir kamen, denn sie war doch eigentlich inmitten der Vorbereitungen zum Mittagessen und hatte soeben den Leuten vom Hof zum Essen geläutet. Als wir atemlos über die Wiese rannten, daß die Gräser um unsere nackten Beine schlugen, hatten wir ihre lange magere Gestalt beim Vorratshaus stehen und rhythmisch nicken sehen, als sie an dem Tauende der Essensglocke zog. Ich glaube, Ragnhild dachte auch nicht darüber nach. So sollte es eben sein, Mathilde kam energischen Schrittes und mit uns im Schlepptau aus der Kammer, während sich die anderen zu Tisch setzten, nachdem sie sich in der weißen Emailleschüssel mit dem roten Rand in der Ecke bei der Holzkiste die Hände gewaschen hatten.
Das ist die gleiche Schüssel, in der ich dich heute bade, Klein Jakob, aber bald muß ich eine größere finden, denn du wächst schnell aus dem kleinen Handwaschbecken
Weitere Kostenlose Bücher