Lesebuch für Katzenfreunde
lernen mußte. Er dachte nicht daran, daß er jetzt schon drei Stunden über einer Aufgabe brütete, die er in einer Stunde hätte schreiben können. So wurde es Abend, und Hansi hockte noch immer über seinem Heft. Er fand, Mama sollte bei ihm sitzen und ihm alle Wörter vorsagen, aber gerade das durfte sie nicht tun, denn er mußte ja lernen, selbständig zu arbeiten.
Erst als er Papa die Treppe heraufkommen hörte, kritzelte er schnell die letzten Zeilen in sein Heft und atmete laut auf. Da riß Friedl die Tür auf, und Bartl sprang ins Zimmer und auf den Tisch und lief über die nassen Zeilen. Hansi war hoch erfreut: so konnte er die Schuld an der üblen Schmiererei auf den kleinen Kater schieben. Scheinheilig aufheulend stürzte er in die Küche und beklagte sich bei Mama. Als Papa die Wohnung betrat, fand er eine völlig verstörte Familie vor. Bartl spazierte noch immer miauend über das mißhandelte Heft und sah Papa aus großen gelben Augen an. Was blieb Papa zu tun übrig? Nach dem Essen setzte er sich zu Hansi und half ihm bei der Aufgabe. So ging es natürlich leicht und schnell. Hansi fing an, Bartl als seinen Freund zu betrachten, und hoffte, er werde ihm jeden Tag über das nasse Heft laufen. Der unschuldige Kater aber lag auf Papas Knien, schnurrte wie eine kleine Maschine und blinzelte glücklich ins Lampenlicht.
Rita Mae Brown & Sneaky Pie Brown
Fang mich, wenn du kannst!
Mrs. Murphy schlug einen Purzelbaum, während sie einen Grashüpfer jagte. Diesen Witschern, wie sie sie nannte, konnte sie einfach nicht widerstehen. Tucker, die sich nicht für Insekten interessierte, warf ein scharfes Auge auf die Eichhörnchen, die so dämlich waren, über die Railroad Avenue zu huschen. Die alte eckige Uhr an Harrys Handgelenk, die ihrem Vater gehört hatte, zeigte 6 Uhr 30 morgens, und von den Schienen stieg die Hitze auf. Es war ein für Virginia typischer Julitag, einer von der Art, die die Wettermänner und Wetterfrauen im Fernsehen veranlaßten zu plärren, es werde heiß, feucht und dunstig werden, ohne Aussicht auf Veränderungen. Dann rieten sie den Zuschauern, viel Flüssigkeit zu sich zu nehmen. Folgte der Schnitt auf einen Werbespot für Limonade, so ein Zufall.
Harry dachte an ihre Kindheit zurück. Mit dreiunddreißig war sie nicht gerade alt, aber auch nicht mehr jung. Sie fand, daß die Zeiten mehr vom Kommerz geprägt waren, es herrschte ein rüderer Ton. Sogar Bestattungsunternehmen machten Werbung. Ihr nächster Reklametrick würde vermutlich ein Tote-Miss-Amerika-Wettbewerb sein, um festzustellen, wer die Verstorbenen am besten herzurichten verstand. Etwas war während Harrys Lebensspanne mit Amerika geschehen, etwas, das sie nicht ganz begreifen, jedoch intensiv fühlen konnte. Es gab keinen Wettbewerb zwischen Gott und dem Goldenen Kalb. Geld war heutzutage Gott. Kleine grüne Scheine mit den Bildnissen Verstorbener wurden angebetet. Die Menschen töteten nicht mehr für die Liebe. Sie töteten für Geld.
Merkwürdig, in einer Zeit geistiger Hungersnot zu leben. Sie beobachtete Katze und Hund beim Fangenspiel und fragte sich, wieso ihre eigene Gattung sich so weit hatte forttreiben lassen von der animalischen Existenz, dem puren Vergnügen am Jetzt.
Harry hielt sich durchaus nicht für eine philosophische Natur, doch in letzter Zeit hatte sie sich mehr und mehr Gedanken über den Sinn ihres Lebens gemacht – und nicht nur des ihren. Nicht einmal Susan mochte sie erzählen, was ihr in diesen Tagen durch den Kopf schwirrte, weil es so verstörend und traurig war. Manchmal dachte sie, sie trauere ihrer verlorenen Jugend nach, und dies sei der tiefere Grund für ihre trüben Gedanken. Vielleicht nötigte sie der Umbruch, den die Scheidung mit sich brachte, zur inneren Einkehr. Oder vielleicht waren es wirklich die Zeiten, die Käuflichkeit und das krasse Konsumdenken der amerikanischen Lebensweise.
Mrs. George Hogendobber besaß wenigstens außer ihrem Bankkonto noch andere Werte, aber Mrs. Hogendobber klammerte sich vergebens an ein Glaubenssystem, das seinen Einfluß verloren hatte. Das konservative Christentum konnte sich noch jene ängstlichen, engstirnigen Seelen unterwerfen, die absoluter Antworten bedurften, aber es konnte diejenigen nicht mehr für sich gewinnen, die nach einer Vorstellung von ihrer Zukunft hier auf Erden suchten. Der Himmel mochte gut und schön sein, aber man mußte sterben, um dorthin zu gelangen. Harry hatte keine Angst vor dem Sterben, aber sie hatte auch
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