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Lesebuch für Katzenfreunde

Lesebuch für Katzenfreunde

Titel: Lesebuch für Katzenfreunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: diverse Autoren
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nicht sehen, aber ich hätte meinen Kopf darauf gewettet, daß es vollkommen verrottet war. Da die Parterrewohnung, in die mein geistig verwirrter Freund und ich einziehen sollten, von der Straße etwa zwei Meter erhöht lag, hatte man durch die schmutzigen Fensterscheiben nur einen notdürftigen Einblick. In der grellen, erbarmungslosen Nachmittagssonne konnte ich die fleckigen Zimmerdecken und die geschmacklosen Wandtapeten erkennen.
    Weil Gustav mit mir nur in einer skurrilen Babysprache redet, was mich kaum stört, da auch ich dieselbe Primitivlinguistik bei ihm anwenden würde, wenn ich mit ihm sprechen wollte, stieß er gutturale Begeisterungslaute aus, als wir endlich vor dem Haus stoppten.
    Wenn Sie inzwischen den Eindruck gewonnen haben sollten, daß ich feindselige Gefühle für meinen Lebensgefährten hege, so haben Sie nur teilweise recht.
    Gustav… tja, wie ist Gustav? Gustav Löbel ist Schriftsteller. Aber einer von der Sorte, deren Verdienste um die Geisteswelt nur in Telefonbüchern Erwähnung und Anerkennung finden. Er verfaßt diese sogenannten »Kurzromane« für diese sogenannten »Frauenzeitschriften«, die so raffiniert kurz sind, daß die Handlung sich in einer DIN-A4-Seite erschöpft. Inspiriert zu seinen Geniestreichen wird er in der Regel von der Vision eines Zweihundertfünfzig-Mark-Schecks – mehr zahlen ihm seine »Verleger« nie! Doch wie oft sah ich auch diesen gewissenhaften Autor mit sich selber ringen, auf der Suche nach einer Pointe, einer für sein Genre spektakulären Dramaturgie oder einem bis jetzt nie dagewesenen Aspekt des Ehebruchs. Nur kurzfristig verläßt er regelmäßig das schöpferische Universum der Erbschleicher, vergewaltigten Sekretärinnen und der Ehemänner, die nie merkten, daß ihre Ehefrauen seit dreißig Jahren hinter ihrem Rücken auf den Strich gehen, um das zu schreiben, was er lieber schreiben möchte. Da Gustav studierter Historiker und Archäologe ist, verfaßt er auch, wann immer er Zeit findet, Sachbücher über das Altertum mit dem Spezialgebiet ägyptisches Götterwesen. Dies tut er jedoch derart umständlich und langatmig, daß sämtliche Werke sich über kurz oder lang als Ladenhüter entpuppen und seine Vorstellung, einmal davon zu leben, für ihn immer unvorstellbarer wird. Obwohl sein Erscheinungsbild dem eines Gorillas nicht unähnlich ist und er das fetteste Lebewesen ist, das ich persönlich kenne (konkret hundertdreißig Kilo), ist er, wie man so schön sagt, ein Kind geblieben, obendrein ein vertrotteltes. Sein Weltbild beruht auf Gemütlichkeit, Ruhe und satter Selbstzufriedenheit. Allem, was dieses geheiligte Dreieck zu sprengen droht, versucht Gustav aus dem Wege zu gehen. Ehrgeiz und Hektik sind für diesen harmlosen Spießer Fremdworte, und Muscheln in Knoblauchsuppe und eine Flasche Chablis sind ihm mehr wert als eine steile Karriere.
    So ist Gustav, und er ist das krasse Gegenteil von mir! Es ist deshalb kein großes Wunder, daß solch unterschiedliche Charaktere wie wir sich hin und wieder in die Wolle kriegen. Doch ich will es nun dabei bewenden lassen. Er sorgt für mich, hält mir die alltäglichen, banalen Qualen vom Leibe, beschützt mich vor Gefahren, und die größte Liebe in seinem beschaulichen Leben, die bin immer noch ich. Ich achte und respektiere ihn, obwohl ich gestehen muß, daß mir sogar dies manchmal schwerfällt.
    Nachdem Gustav den Wagen zwischen die Kastanien vor dem Haus bugsiert hatte – die Welt des Autoparkens hat Gustav nie verstanden, Parken ist für ihn die reinste Quantenphysik – stiegen wir beide aus. Während er sich mit seiner gesamten, ehrfurchtgebietenden Masse vor dem Gebäude aufbaute und es mit glänzenden Augen betrachtete, als hätte er es selber errichtet, machte ich sofort einen Geruchscheck.
    Der Modergestank des Ungeheuers traf mich wie ein Stanzhammer. Obwohl ein lauer Wind wehte, war der faulige Zerfallsgeruch um dieses Haus derart intensiv, daß er meine Nasenhöhle in einen Schockzustand versetzte. Blitzschnell erfaßte ich, daß dieser unangenehme Geruch nicht vom Fundament des Gebäudes emporstieg, sondern von den oberen Stockwerken nach unten kroch und nun im Begriff war, seine Stinkefinger nach der Wohnung auszustrecken, in der wir künftig, wenn schon nicht mit Würde wohnen, so doch, na ja, existieren sollten. Doch da war auch etwas Fremdes, etwas Seltsames, ja Bedrohliches. Selbst für mich, der ich ohne falsche Bescheidenheit von meinen zweihundert Millionen Riechzellen

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