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Lesebuch für Katzenfreunde

Lesebuch für Katzenfreunde

Titel: Lesebuch für Katzenfreunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: diverse Autoren
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ließ. Von hier aus führte links eine morsche Holztreppe zu den beiden oberen Stockwerken, aus denen der Tod persönlich herabzuwehen schien. Ich nahm mir vor, sie bald zu inspizieren, um herauszufinden, was es mit ihnen nun tatsächlich auf sich hatte. Ich muß jedoch gestehen, daß mir allein der Gedanke an das Herumstreunen in diesen unheimlichen Räumen eine Mordsangst in die Glieder fahren ließ. Gustav hatte uns in eine gottverdammte Gruft geschleppt, und er wußte es nicht einmal!
    Dann flog die Tür auf, und wir marschierten im Gleichschritt auf den Kriegsschauplatz.
    Es war in der Tat eine beeindruckende Altbauwohnung – die sich allerdings in einer Art kosmischer Auflösung befand. Aber dies war gar nicht das eigentliche Problem. Das eigentliche Problem war Gustav. Mein geliebter Freund würde weder körperlich noch geistig, geschweige denn handwerklich in der Lage sein, ein solches Wrack auf Vordermann zu bringen. Und wenn er das trotzdem ernsthaft in Erwägung zog, so hatte sein von mir schon seit längerer Zeit vermuteter Hirntumor bedenkliche Ausmaße angenommen.
    Langsam und behutsam schlich ich durch die einzelnen Gemächer und nahm jedes Detail in mich auf. Von dem breiten Korridor gingen rechts drei Zimmer ab, die untereinander einen beinharten Wettbewerb um Zerfall und Verkommenheit fochten und Erinnerungen an Das Kabinett des Dr. Caligari weckten. Diese Zimmer waren alle recht groß und gingen nach Süden zur Straße hin, so daß sie voraussichtlich an gutmütigen Frühlings- und Sommertagen von Sonnenschein durchflutet sein würden. Weil die Nachmittagssonne gerade allmählich anfing, sich um die Ecke zu verdrücken, kam diese Wirkung im Augenblick nicht voll zur Geltung. Am Ende des Korridors befand sich ein weiterer Raum, von dem ich annahm, daß es das Schlafzimmer war. Von diesem Zimmer führte eine Tür nach draußen. Links vom Gang lag gleich am Anfang die Küche, durch die man dann zur Toilette und zum Bad gelangte.
    Sämtliche Räume schienen nach dem Zweiten Weltkrieg (oder Ersten?) allenfalls von Würmern, Kakerlaken, Silberfischchen, Ratten und von unterschiedlichen Insekten- und Bakterienimperien bezogen worden zu sein; die Vorstellung, daß hier vor kurzem noch Menschen gelebt haben sollten, schien völlig absurd. Sowohl der schimmelige Parkettboden als auch die Decke waren stellenweise eingebrochen. Alles roch nach Moder und Urin irgendwelcher undefinierbarer Lebewesen, die gerade so hochentwickelt waren, daß sie urinieren konnten. Es ist allein meiner überragenden Leidensfähigkeit und meinem einwandfreien Hormonhaushalt zu verdanken, daß ich angesichts dieses Grauens keinen Nervenzusammenbruch erlitt.
    Was Gustav anging, so wurde er plötzlich schizophren. Denn als ich von der Besichtigung des letzten Raumes, vermutlich des Schlafzimmers, gramgebeugt in den Flur zurückkehrte, sah ich meinen armen Freund mitten in der Küche stehen und lebhafte Selbstgespräche führen. Zu meinem Entsetzen mußte ich jedoch schon im nächsten Moment konstatieren, daß die enthusiastische Unterhaltung, die er mit den betagten Wänden der Küche führte, sich keinesfalls um den niederschmetternden Zustand dieses Lochs drehte, sondern ganz im Gegenteil seiner freudigen Erregung Ausdruck gab, endlich im Gelobten Land angekommen zu sein. Und wie er da stand, immer wieder um die eigene Achse wirbelte, die Arme emporgestreckt wie zu einem Gebet oder einem kultischen Ritual, und vor sich hin plapperte, als hielte er eine Rede an all die Insekten- und Bakterienstaaten, da tat mir dieser Mann irgendwie leid. Mit einem Mal kam er mir vor wie eine dieser schäbigen, alkoholkranken Nebenfiguren aus einem Tennessee-Williams-Stück. Gustav war kein tragischer Held, für den sich das Publikum die Augen ausweinen würde, wenn er am Ende einer Tragödie das Zeitliche segnete. Sein Leben war ein ganz gewöhnliches, stinklangweiliges Drama, eins von der Sorte, aus der Fernsehredakteure den Stoff für solche Betroffenensendungen wie »Fettleibigkeit muß nicht sein!« oder »Senken Sie Ihren Cholesterinspiegel!« bezogen. Wer war er schon? Ein fetter, nicht besonders intelligenter Mann Mitte vierzig, der liebevoll Weihnachts- und Geburtstagsgrußkarten an sogenannte Freunde schrieb, die ihm alle zehn Jahre einen Besuch abstatteten, und der seine gesamte Glaubens- und Hoffnungskraft in die Pharmaindustrie investierte, auf daß sie ein Wundermittel gegen seine fortschreitende Kahlheit erfände. Das ideale Opfer von

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