Lesereise Finnland
mit schwarzen und braunen Flecken.« Die anderen freuten sich. Sie kennen den Anblick.
Seit ein paar Monaten haben die Paadars ein solches bunt geschecktes Ren in ihrer Herde. Kein Same zweifelt daran, dass es ein Geschenk der Götter aus der Spiegelwelt ist, ein Zeichen für großes Glück: »Es war plötzlich da. Niemand hat die Geburt gesehen, und es gibt kein Muttertier.« Intoo nippt Kaffee aus seiner geschnitzten Holztasse und blickt in die Flammen des Lagerfeuers. Die Geschichte ist kein Späßchen. Intoo wartet auf kein Lachen. Er hat aus seinem Alltag erzählt. Die Anwesenden wissen es. Maarit schließt die Augen und ihre Züge entspannen sich, als lächelte die Seele.
Frostige Ferien im Bett aus Eis
Vom (Selbst-)Versuch, eine Nacht im Iglu dreihundert Kilometer nördlich des Polarkreises zu verbringen
Kann man auf eine Nacht im Iglu hinfiebern? Oder fröstelt man darauf zu? Kann es sein, dass man irgendwann von zu Hause, vom warmen Wohnzimmer aus, eine Urlaubsnacht im Quartier aus Eis gebucht und plötzlich gar keine Lust mehr darauf hat, wenn man über dreihundert Kilometer nördlich des Polarkreises in Finnisch-Lappland eingetroffen ist und wirklich in sein eisiges Quartier einchecken soll? Dass man sich fragt, was man sich denn nun schon wieder eingebrockt habe und insgeheim nach Ausflüchten sucht, den eigenen Plan möglichst unauffällig rückgängig zu machen?
Wäre die Iglu-Aktion doch nur für den Vortag vorgesehen gewesen. Da war es warm – nur minus ein Grad, völlig unüblich für einen Februartag in diesen Breiten. Nun aber kam die Kälte zurück – und hätte sie ein Gesicht, sie würde höhnisch grinsen: Minus einundzwanzig Grad Außentemperatur zeigt das Thermometer inzwischen.
Im gut geheizten Restaurant gegenüber vom Iglu-Dorf Kakslauttanen bei Ivalo trippeln die eigenen Füße unterm Tisch trotz dicker Thermostiefel hin und her. Sie tun das, um die Zehen warm zu halten, ohne dass denen kalt sein müsste. Gerade hatte ihnen das Nervensystem befohlen, schon mal vorsorglich zu erfrieren. Spätestens das wäre dann ein guter Vorwand, die Nacht im Iglu doch noch abzublasen. Die elegante Ausrede für den Rückzug aus einer Gegend, wo sich Rentier und Schlittenhund Gute Nacht sagen.
Kakslauttanen liegt viereinhalb Autostunden nördlich der Lappland-Hauptstadt Rovaniemi, eine halbe Fahrtstunde südlich von Ivalo. Ausgerechnet dort hat Jussi Eiramo sein Iglu-Dorf eröffnet. Im Sommer vermietet der bärtige Hüne Blockhäuser, im Winter zusätzlich selbst gebaute Iglus. Vor über zwanzig Jahren hat er erstmals eine Schneehöhle gegraben, ein paar Rentierfelle hineingeworfen und das Quartier an abenteuerlustige Fremde aus dem Süden vergeben. Seitdem wächst das Interesse an der Kälte von Jahr zu Jahr. Achtzehn Iglus hat der Wildnishotelier dieses Jahr gebaut, jeder mit Platz für vier Personen, jeder mit halbmeterdicken Wänden aus Eis und etwa acht bis zehn Quadratmetern Grundfläche, dazu eine Eiskirche mit Eisaltar. Dreißig Trauungen sind dort für diesen Winter schon gebucht. Durchführen wird sie der Pastor aus dem Nachbarort Saariselkä. Und für die Nacht danach gibt es erstmals einen Honeymoon-Iglu. Der ist ein bisschen flauschiger als die anderen – mit noch mehr Rentierfellen auf dem Eisbett und netter Deko, damit die richtige Kuschelatmosphäre aufkommt.
»Wer einen Iglu bucht«, sagt Eiramo, »der tut das für eine Nacht und erfüllt sich damit einen Kindheitstraum. Niemand verbringt die ganzen Ferien im Eisquartier.« Vor allem Japaner seien ganz heiß auf die Kälte, Finnen dagegen eher desinteressiert: »Wer sowieso in der Kälte aufwächst, träumt eher vom Warmen«, philosophiert Eiramo. Seine Gäste kommen aus Mittel- und Südeuropa, sogar aus Dubai, aus Australien, Argentinien und China. Rund hundertzwanzig Euro pro Person kostet die Nacht im Iglu – Frühstück inklusive, viel heißer Kaffee ebenfalls. Bis Anfang Mai ist sein Eisdorf geöffnet. Danach holt sich der Frühling die vergänglichen Bauten.
Das Menü im Restaurant sieht nach Rentiergulasch diesen Abend ausgerechnet Eis als Dessert vor. Mit Vanillegeschmack. Und mit arktischen Moltebeeren. Ein freundlich-ironischer Vorgeschmack auf das nahende Schicksal.
Kann es sein, dass man am Vorabend der Übernachtung im Schnee den Aufenthalt im Gasthaus mit Kunstgriffen in die Länge zieht, nur um nicht in den gebuchten Iglu umziehen zu müssen? Nach dem Essen einen Likör, danach noch einen Cappuccino, und weil
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