Lesereise Friaul und Triest
den Abstellkammern der Zeit
Der laszive Charme der Bourgeoisie: Triest
»Un poco di ben e un poco di mal tien la barca drita.« Lässt sich so wirklich leben? Die Triestiner tun’s und folgen einem alten Sprichwort: Ein bisschen vom Guten, ein bisschen vom Schlechten, und das Boot hält Kurs. Der Mittelweg. Damit scheint man zufrieden.
Triest musste lernen, sich zu arrangieren. Höhenflüge? Lieber nicht. Der Absturz könnte schmerzhaft sein, das hat man oft genug erfahren. Die Geschichte sitzt einem tief in den Knochen, das Vertrauen in sich und seine Möglichkeiten bleibt zaghaft. Die Triestiner tun sich schwer mit ihrer Identität. Sie hätten eben, so Claudio Magris, eine doppelte Seele. Damit lebt sich’s nicht leicht, aber intensiv.
»Du weißt, dass ich Slawe, Deutscher, Italiener bin. Von slawischem Blut hab ich eine seltsame Sehnsucht in mir, einen Wunsch nach Neuem, nach verlassenen Wäldern; eine Sentimentalität, die nach Zärtlichkeiten verlangt, nach Freuden; ein endloses Träumen ohne Grenzen. Von deutschem Blut hab ich die eselköpfige Sturheit, den diktatorischen Willen und Ton, die Sicherheit in meinen Plänen, den Unmut, Diskussionen akzeptieren zu müssen, ein Verlangen nach Herrschaft und Kraft. Diese Elemente sind im italienischen Blut verschmolzen, welches sie in Harmonie zu bringen versucht, in Ausgleich, damit ich ›klassisch‹ werde, gebildet, ein Elfsilber anstatt ein freier Vers.« Scipio Slataper hat es an sich selbst erfahren: Die Familie seines Vaters hat slawisch-slowakische Wurzeln, seine Mutter ist Tochter einer Deutschen und eines Italieners. Ein »Mishmash«, wie es die Triestiner nennen, das Mit- und Nebeneinander von Völkern und Kulturen.
Erst das Wissen um die Geschichte der Stadt lässt ihre Eigenart verstehen, ihre Zerrissenheit, ihr Zweifeln, die Zurückhaltung. Die Gründung Triests geht auf keltische und illyrische Stämme zurück. Ihnen folgen die Römer mit der Siedlung Tergeste auf dem Hügel San Giusto. Dort, direkt neben Castello und Dom, liegen heute noch die Ruinen einer römischen Basilika, am Fuß der Anhöhe die Reste des Amphitheaters. Die Cäsaren wussten die Kolonie als Grenzfestung zu nutzen und ihren Hafen für Handel und Schifffahrt. Nach dem Untergang des Imperium Romanum wechseln die Machthaber immer wieder. Triest kommt erst zur Ruhe, als es sich 1382 in die Herrschaft der Habsburger fügt.
Eine Hassliebe: Einerseits bietet der Hof zu Wien Sicherheit im Kampf gegen die Venezianer, andererseits begibt man sich damit in die Hände eines bürokratischen Apparates, der Entscheidungen zentralistisch fällt, ohne auf die Bedürfnisse der einzelnen Regionen zu achten. Zu jener Zeit zählte Triest etwa fünftausend Einwohner, eine verschlafene Kleinstadt. Es gibt etwas Handel, hauptsächlich mit Salz, dazu Landwirtschaft und Fischfang. Davon wird man nicht reich.
Erst 1719 dann die Wende, als Österreich im Mittelmeer strategische Handels- und Militärstützpunkte zu schaffen trachtet und Triest zum Freihafen ernennt. Ein Dekret Karls VI ., das die Zölle aufhebt und dadurch die Wirtschaft ankurbelt, eröffnet seinen Bewohnern neue Möglichkeiten. Kaufleute und Unternehmen wandern zu und mit ihnen Seeleute, Hafenarbeiter und Abenteurer. Unter Maria Theresia und Joseph II . verändert sich das Antlitz der Stadt. Man errichtet neue Hafenanlagen, den heutigen Porto Vecchio, und legt die ehemaligen Salzgärten trocken, um den Borgo Teresiano und den Borgo Giuseppino zu bauen. Rund um den Canal Grande entsteht ein geometrisches System von Straßenachsen mit einer Vielzahl repräsentativer Palais. In den Untergeschoßen sind Kontore und Warenlager untergebracht, in den Etagen darüber logieren die zu Reichtum gekommenen Kaufleute, unterm Dach die Dienstboten und Domestiken.
Neue Privilegien sorgen weiterhin für die Attraktivität dieses Standorts: Die Männer sind vom Wehrdienst befreit, Glaubensfreiheit und Toleranz garantiert, der Zuzug von Immigranten erwünscht. Auf diese Weise entwickelt sich Triest zu einer vielstimmigen, vielschichtigen Gesellschaft. Als Österreich nach dem Wiener Kongress 1814/15 wieder zur Weltmacht aufzusteigen sucht, werden Industrie und Handel zu wichtigen Säulen der Wirtschaft. Die Stadt erlebt einen rasanten Aufschwung. 1818 geht die erste Schifffahrtslinie zwischen Triest und Venedig in Betrieb, 1837 die Linie Triest-Konstantinopel. 1831 wird die Assicurazioni Generali gegründet, kurz darauf der Österreichische Lloyd,
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