Lesereise Friaul und Triest
Lebensfreude zurück, zu spüren auf den Straßen und in den Bars. Und doch: Wirklich zusammengewachsen sind die Triestiner noch lange nicht. Was im großen Gefüge Europa zu gelingen scheint, braucht hier seine Zeit. Die einen schauen nach Rom, die anderen Richtung Laibach, wieder andere nach Wien und Berlin. Mit einem Teil der eigenen Geschichte ist man längst versöhnt, mit dem anderen will man nichts mehr zu tun haben. Doch die Vergangenheit bricht immer wieder durch, »füllt sich mit Echos und Erinnerungen, die sich nach und nach zu einem Mosaik zusammenfügen«, wie Marisa Madieri über ihre Kindheit in Istrien und Triest schreibt. »Sie kommen in kleinen Strudeln aus einem unbestimmten Magma herauf, das sich lange Jahre in einem dunklen, nie ausgeloteten Grund angesammelt hat.«
Das nie Ausgelotete. In Triest, diesem Niemandsland zwischen gestern und heute, ist es auf Schritt und Tritt zu spüren. Die Stadt lässt sich schwer erschließen, doch ihr lasziver Charme ist Geschenk und Versprechen. Die Triestiner seien nicht leicht zu haben, meinte auch Giorgio Strehler, selbst hier geboren, und entgegenkommend seien sie schon gar nicht. Wie auch? Sie gehören nur mehr sich selbst. Die meisten haben ihre Schlupfwinkel gefunden, die Nostalgie, den Fatalismus, manchmal auch die Zuversicht. »Un poco di ben e un poco di mal tien la barca drita.« Irgendwie wird’s schon weitergehen, irgendwie.
Caro Signor Schmitz – Dear Mister Joyce
Triest – Dublin: Die verlorenen Söhne kehren heim
Signor Schmitz lacht viel, ein wohltönendes, tiefes Lachen. Ganz Triest sei gern bei ihm zu Gast gewesen, erzählt seine Frau, herzlich empfangen von der Fröhlichkeit ihres Mannes. Und eigentlich hat Ettore Schmitz auch allen Grund zur Heiterkeit. Ein ehrenwerter Bürger, angesehen als Industrieller und Förderer der Künste, glücklich verheiratet und in seine Tochter vernarrt. Die Familie residiert in einer Villa in San Servolo, wo sie das mondäne Leben pflegt. Gleichzeitig wird Ettore Schmitzens großes Herz gerühmt, er gilt als wohltätig und freigiebig. Eigentlich, ja eigentlich könnte er ganz zufrieden sei. Wenn nicht ein alter Schmerz in ihm nagen würde, der bittere Unterton in seinem offenen Lachen. Es gibt Tage, da versinkt er in Schwermut und Düsternis. Ob er nicht doch in einem falschen Leben steckt? Ettore Schmitz fühlt sich zum Dichter berufen. Zwei Romane hat er veröffentlicht, beide unter einem Pseudonym und auf eigene Kosten, und beide waren von Publikum und Kritik fast gänzlich ignoriert worden. Gibt es Kläglicheres für einen Autor als ein Echo wie dieses?
»Ich hab nun endgültig diese lächerliche und schädliche Sache, die sich Literatur nennt, aus meinem Leben verbannt«, gesteht er seinem Tagebuch, das seiner Selbstanalyse dienen soll. »Nun wird mir noch einmal die Feder, dieses grobe und unbeholfene Instrument, dazu verhelfen, auf den komplexen Grund meines Wesens zu gelangen. Dann werde ich sie für immer wegwerfen und mich daran gewöhnen lernen, direkt aus der Perspektive der Tat zu denken: im Laufen, vor einem Feind flüchtend oder ihn verfolgend, die Faust zum Schlag oder zur Abwehr erhoben.«
Doch bis es so weit ist, sucht sich Signor Schmitz mit dem Geigenspiel abzulenken und stürzt sich in die Arbeit. Er muss immer wieder nach London reisen, wo die familieneigene Fabrik für wasserfeste Lacke eine Niederlassung hat. Dass er sein Englisch als medioker empfindet und sich allerlei Missverständnissen gegenüber findet, missfällt ihm. Und so beschließt er – es soll 1906 gewesen sein –, Sprachunterricht zu nehmen. Er hört sich um. Man empfiehlt ihm einen gewissen Mister Joyce, von dessen pädagogischen Fähigkeiten die Triestiner Bourgeoisie zu schwärmen weiß. Die beiden lernen sich kennen, finden einander sympathisch und werden handelseins: Dreimal wöchentlich soll gepaukt werden.
Mister Joyce ist zu jenem Zeitpunkt schon gute zwei Jahre in Triest. Angekommen – die Geschichte ist längst launige Anekdote – ist er am 20. Oktober 1904, zusammen mit seiner Freundin Nora Barnacle. Er sei gleich vom Bahnhof weg verhaftet worden, berichtet er später, weil er sich in einen Händel mit drei betrunkenen Matrosen eingelassen habe. Nach seiner Freilassung erhält er die Nachricht, die Reise von Dublin nach Triest vergeblich unternommen zu haben: Die Stelle als Englischlehrer in der Berlitz School, die man ihm versprochen hat, ist nicht frei. Tagelang sucht er nach Arbeit. Als Licht
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