Lesereise Friaul und Triest
wenig später die Riunione Adriatica di Sicurtà. Das Meer sollte sicherer werden, so das Bestreben dieser Gesellschaften. Besonders der Lloyd, nach dem Modell der Londoner Zentrale aufgebaut, nimmt eine steile Entwicklung, als er zur Schifffahrtsgesellschaft avanciert und von Triest aus die Ozeane befahren lässt. »Vorwärts«, so sein Wahlspruch. Saloniki, Konstantinopel und Alexandria, Bombay, Shanghai und Nagasaki: Zwischen 1837 und 1914, dem Beginn des Ersten Weltkriegs, tuckern zweihundertzwanzig Dampfer über die Ozeane, mehr als siebenunddreißig Millionen Tonnen Waren werden umgeschlagen und über einundzwanzig Millionen Passagiere befördert.
Triest, seit 1857 durch die Südbahn direkt mit Wien verbunden, zählt neben Hamburg, Rotterdam und Marseille zu den größten Häfen Europas. Neue Werften entstehen, Lagerhallen, Werkstätten und Trockendocks. Dazu die prächtigen Repräsentanzen der Reedereien und Versicherungen, die öffentlichen Gebäude und Hotels, die das Stadtbild bis heute prägen: der Lloydpalast und der Palazzo Comunale auf der Piazza dell’Unità d’Italia, die Grand Hotels Duchi d’Aosta und Savoia Excelsior Palace, das Teatro Verdi, die Börse. Man beschäftigt Architekten aus Triest, aber auch aus Wien und Berlin. Provinz ist anderswo, die Salons des Bürgertums wachsen mit dem Selbstbewusstsein. Innerhalb von vierzig Jahren vervierfacht sich die Bevölkerung, um 1910 sind es gut zweihundertzwanzigtausend Einwohner. Es sind Italiener zugezogen, dazu Griechen und Levantiner, Slowenen, Kroaten und Serben. Nur ein kleiner Teil der Bevölkerung, etwa zehn Prozent, spricht deutsch, jene Sprache, die der habsburgische Verwaltungsstab präferiert.
Die Politik weiß mit solchen Strukturen nicht umzugehen: Als Kaiser Franz Joseph 1848 den Thron besteigt, stärkt er den Deutschnationalen und Katholiken den Rücken. Eine schlechte Entscheidung für Triest, wo die Slowenen um ihre Autonomie kämpfen. Die Italiener wiederum fürchten die Slawisierung und nehmen dafür zähneknirschend die Germanisierung in Kauf. Die Ethnien verfeinden sich immer mehr: Die einen träumen von einem slawischen Staat, der den Raum zwischen Istrien und der Steiermark einnehmen soll, die anderen von einem Freistaat zwischen den Herrschaftsgebieten von Italien und Österreich, wieder andere vom Anschluss an Italien. Zu Letzteren zählen auch viele Juden, die unter dem latenten Antisemitismus der Habsburger leiden und sich eine liberale Gesellschaft herbeiwünschen.
Franz Joseph gelingt es nicht, sein Reich zu einen, es zersplittert und zerfällt immer mehr. Auch Triest verfängt sich in einem Dickicht unterschiedlichster Interessen: Den Österreichern ist man wirtschaftlich und kulturell verbunden, den Italienern geistig, alle anderen Völker sucht man zu unterdrücken oder zu ignorieren, so sie sich nicht freiwillig assimilieren. Die Triestiner, dieses kosmopolitische Konglomerat verschiedener Menschen und Kulturen, leben nebeneinander und beäugen einander kritisch, ohne wirkliche Gemeinsamkeiten zu entwickeln. Vor Beginn des Ersten Weltkriegs gibt es über fünfhundert verschiedene Zeitungen und Zeitschriften, in den Kaffeehäusern wie dem berühmten Tommaseo, dem San Marco oder dem Degli Specchi (das im November 2011 schließen musste) ist die Welt zu Hause. Doch in den Köpfen der Menschen treten die Gedanken auf der Stelle.
1915 bricht auch im Friaul die Grande Guerra aus. Mit Kriegsende verliert Österreich seinen Zugang zum Meer – und Italien gewinnt einen Hafen, den es nicht braucht. Triest verkommt zur Provinzstadt. Die bürgerlichen Ideale sind zerschellt, die Nationalitätenkonflikte nehmen weiter zu. Die meisten ehemaligen k. u. k. Beamten samt Familien ziehen ab, die frei gewordenen Arbeitsplätze und Wohnungen werden von Italienern besetzt, was die Slawen aufbringt. Erste Gewaltakte machen sich bemerkbar: Das Hotel Balkan, das größte slowenische Kultur- und Künstlerhaus, wird im Juli 1920 von nationalistischen Sturmtruppen in Brand gesetzt und zerstört. Der Faschismus hat es leicht, die Triestiner werfen sich blauäugig in seine weit geöffneten Arme.
Triest, San Sabba. Ein Ziegelbau inmitten einer trostlosen Industriegegend, rote Mauern, ein hoch hinaufragender Schlot. In der einstigen Reisfabrik ist heute ein Museum untergebracht, eine nationale Gedenkstätte. An den Wänden Fotos und Dokumente, im Hof eine Installation, ein in den Boden eingelassener, mit Stahlplatten markierter Parcours: die
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