Lesereise - Israel
-Zug bekannt – Kastner hatte wenige Passagiere persönlich ausgesucht.
Nach seiner Einwanderung nach Israel machte Kastner eine bescheidene politische Karriere im israelischen Staatsapparat. Im Jahr 1952 wurde sie jedoch von einem Pamphlet gefährdet, das Malkiel Gruenwald veröffentlichte. Gruenwald hatte etwa fünfzig seiner Familienmitglieder in der Schoah verloren und machte Kastner dafür verantwortlich: »Kastner muss getötet werden! Er ist verantwortlich für den Mord an meinen Brüdern!«, schrieb Gruenwald. Kastner sah sich gezwungen, Gruenwald zu verklagen. Der Prozess dauerte neunzehn Monate, bis zum Juli 1955. Neben Kastner saß symbolisch die zionistische Führung auf der Anklagebank, die angeblich nicht genug zur Rettung der Juden getan hatte. Das Urteil des regimekritischen Richters Benjamin Halevi erschütterte Israel. Indem er mit Eichmann verhandelte, habe Kastner »seine Seele an den Teufel verschachert«. Kastner legte Berufung ein. Seinen Freispruch, den der höchste Gerichtshof im Januar 1958 aussprach, erlebte er nicht mehr. Im März 1957 wurde Kastner vor dem Eingang seines Hauses in Tel Aviv erschossen. Doch Kastners Freispruch erfüllte eine wichtige Funktion. Die Richter erklärten, dass »nicht jeder Akt der Kooperation als Kollaboration gedeutet werden sollte«. Endlich schüttelte Israel seinen Opferschuldkomplex ab. Von nun wurde den meisten klar, dass die Nazis allein für den Mord an den Juden verantwortlich gewesen waren.
Kaum jemand trug mehr persönliche Verantwortung für die Schoah als Adolf Eichmann. Kritiker meinten später, man habe den Falschen auf die Anklagebank gesetzt. Hannah Arendt prägte in ihrem Buch über den Prozess den Begriff der »Banalität des Bösen«. Für Bach ist diese Aussage realitätsfremd: »Eichmann interessierte sich zwar anfangs für ›Judensachen‹, jedoch nur weil er glaubte, dass es seiner Karriere dienlich sein könnte. Aber langsam wurde es zu einer wirklichen Besessenheit. Er identifizierte sich absolut mit dem Begehren [die Juden zu ermorden]. Es gab sehr viele Abteilungen in der SS , alle Abteilungsleiter wurden ohne Ausnahme nach wenigen Jahren ausgetauscht. Der Einzige, der den ganzen Krieg hindurch auf seinem Posten blieb, war Eichmann. Seine Vorgesetzten wussten, wie fanatisch Eichmann die Ermordung der Juden verfolgte.« Eichmann sei kein kleiner Technokrat gewesen, sondern der richtige Angeklagte eines historischen Prozesses: »Von allen Nazis, die zu dieser Zeit noch am Leben waren, hätte ich mich immer wieder dafür entschlossen, Eichmann anzuklagen. Er war für alle Aspekte und Stadien der Judenvernichtung verantwortlich, in ganz Europa. Manche nannten den Völkermord sogar ›Operation Eichmann‹.«
Eichmann, nicht die jüdischen Kollaborateure, war jetzt das Sinnbild des Bösen. Zudem habe er seine Tat niemals bereut: »Mir lag die Abschrift eines Interviews vor, das Eichmann 1956 einem holländischen Journalisten gegeben hatte«, sagt Bach. »Es war eine Pracht, diese Züge mit den Juden zu sehen, die von Holland nach Auschwitz gebracht wurden«, gab der Verantwortliche für die Deportation Hunderttausender Juden elf Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg zu Protokoll. »Als der Reporter Eichmann fragte, ob er etwas bereue, antwortete er: ›Ja, eine Sache hat mir leid getan. Dass ich nicht hart genug war, dass ich nicht scharf genug war, dass ich diese verdammten Interventionisten nicht genug bekämpft habe. Jetzt sehen Sie das Resultat: Die Gründung des Staates Israel und die Wiedereinrichtung dieser Rasse dort.‹ Wenn er das 1956, elf Jahre nach dem Krieg, gesagt hat, dann kann ich gegenüber seiner Reue fünf Jahre später skeptisch sein«, resümiert Bach. Eichmann war Überzeugungstäter: »Als Eichmann hörte, dass lokale Milizen Juden erschossen hatten, war er außer sich vor Wut. Nicht aus humanitären Gründen. Nein, er beklagte sich, dass er die Übersicht verliere!«
Der ehemalige Henker hatte derweil im Gefängnis die Rolle des gehorsamen Häftlings übernommen. »Wenn er dachte, ich wolle aufstehen, sprang er sofort auf und nahm Haltung an«, erinnert sich Bach. »Nicht aus Angst«, betont der später liberale Richter: »Er dachte, das gehört sich so.« Eichmann schien von seinen Wärtern dieselbe Härte zu erwarten, mit der er den Mord von Millionen Juden in Europa betrieben hatte: »Er bekam immer drei Scheiben Brot. Als er einmal nicht so großen Hunger hatte, bat er um Erlaubnis, nur zwei Scheiben essen
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