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Lesereise - Israel

Lesereise - Israel

Titel: Lesereise - Israel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gil Yaron
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Ausmaße wurden zu diesem Zeitpunkt noch nicht begriffen. Israelische Zeitungen berichteten kühl und distanziert, stützten sich, wie die Ankläger, hauptsächlich auf die Sichtweise der Täter. Jüdische Opfer waren in dieser Berichterstattung nur ein passives Objekt und wurden nicht in den Zeugenstand gerufen.
    Diese Betrachtungsweise deckte sich mit der Weltanschauung der zionistischen Staatsgründer. Die wollten nicht bloß einen jüdischen Staat errichten, sondern gleich einen anderen Menschenschlag, einen »neuen Juden«, schaffen. Rabbiner sollten zu Bauern und Kämpfern werden. Die eckigen, glatt rasierten Gesichtszüge zionistischer Propagandaposter kontrastierten bewusst das blasse Antlitz bärtiger orthodoxer Juden. Der neue Hebräer sollte nicht nur zu seinen geografischen Wurzeln in Palästina, sondern auch zu den biblischen Wurzeln wehrhafter jüdischer Königreiche zurückkehren. Max Nordau, einer der wichtigsten Führer der zionistischen Bewegung, meinte, man solle aus blassen »Judenleichen« der Ghettos »Muskeljuden« machen, die in die Fußstapfen der wackeren Hebräer treten: »Knüpfen wir wieder an unseren ältesten Überlieferungen an: werden wir wieder tiefbrüstige, strammgliedrige, kühnblickende Männer«, forderte Nordau im Jahr 1900 in einem Aufsatz in der Jüdischen Turnzeitung .
    Die wehrlose Opferrolle der Juden in der Schoah widersprach diesem Traum. Mit den jüdischen Widerstandskämpfern der Ghettos von Wilna oder Warschau konnte man sich identifizieren, den Überlebenden der Vernichtungslager warf man hingegen vor, sie hätten sich »wie Lämmer auf die Schlachtbank« führen lassen. »Seifen« nannten die Zionisten die Holocaust-Überlebenden, in Anlehnung an ein Gerücht, laut dem die Nazis aus toten Juden Seife gemacht hatten. Zu dieser offensichtlichen Geringschätzung gesellte sich die Anschuldigung, die Juden der Diaspora trügen eine Mitschuld an ihrer Vernichtung, weil sie die Möglichkeit, rechtzeitig nach Palästina einzuwandern und das zionistische Projekt zu stärken, abgelehnt hatten. Die Überlebenden wurden von Schuldgefühlen geplagt. Der Autor Mark Dworzecki fasste sie 1946 in seinem Aufsatz »Wie hast Du überlebt?«, in bewegende Worte: »Es scheint mir, als sei ich mit einem Kainsmal behaftet, das niemals ausradiert werden kann. […] ich meine die Schande, überlebt zu haben, wenn alle anderen tot sind. […] es ist mir unmöglich, den Fragen zu entkommen […] Ich höre die Stimmen der Toten, die mir sagen: ›Wir wurden ermordet […] und du lebst?‹ Gewissen, bitte sag mir, welche Antwort soll ich ihnen geben?«
    Eine Antwort auf diese Frage war das »Gesetz zur Bestrafung von Nazis und ihren Kollaborateuren«. Indem man die Opfer beschuldigte, gab man sich der Illusion hin, in der Schoah nicht hilflos gewesen zu sein, sondern Alternativen gehabt zu haben. In den fünfziger Jahren war man in Israel in den »Kapo-Verfahren« damit beschäftigt, das »eigene Lager zu säubern«, sagte damals Justizminister Pinchas Rosen. Doch die Mehrheit der Überlebenden wünschte sich nicht Rache, sondern einen Neuanfang, um die Schrecken der Vergangenheit zu vergessen. Die Überlebenden, die bald ein Viertel der israelischen Bevölkerung ausmachten, wollten nicht mehr die letzten Juden Europas sein, sondern zu den ersten Israelis werden: Ihre Rache bestand aus der Gründung neuer Familien und dem Aufbau der Wirtschaft, Armee und Kultur ihrer neuen Heimat. Im Land der Opfer wurde die Schoah totgeschwiegen.
    Trotzdem war Eichmann im Land der Opfer bereits eine bekannte Größe, als er aus Argentinien nach Israel gebracht wurde. Bach kannte ihn bereits als Nebenfigur im skandalösen Kastner-Prozess, ein Prozess, der das Schoah-Tabu erstmals brach. Dr. Rudolph Kastner hatte in Budapest das jüdische Rettungskomitee geleitet, das dabei geholfen hatte, während des Krieges jüdische Flüchtlinge aus den Nachbarländern aufzunehmen. Doch 1944 wurde Adolf Eichmann nach Ungarn geschickt, um sich hier auf seine Art der »Judenfrage« zu widmen. Die letzte Stunde des ungarischen Judentums hatte geschlagen: In knapp zwei Monaten ließ Eichmann rund eine halbe Million Juden deportieren und ermorden. Unter diesen unmöglichen Bedingungen versuchte Kastner zu retten, wen er konnte, und verhandelte mit Eichmann. Es gelang ihm, einen Zug mit tausendsechshundertfünfundachtzig Juden zu retten und fünfzehntausend Juden nach Strasshof in Österreich zu verfrachten. Der Zug wurde als VIP

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