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Lesereise - Israel

Lesereise - Israel

Titel: Lesereise - Israel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gil Yaron
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den 8. Mai als Stichtag für die Feiern zum sechzigsten Jahrestag der Unabhängigkeitserklärung fest, obschon David Ben Gurion, der erste Premier, im Jahr 1948 den Staat doch fast eine Woche später, am 14. Mai, ausrief. Jüdische Feiertage richten sich aber nicht nach dem gregorianischen Sonnenkalender, sondern nach dem hebräischen Mondkalender. Derselbe Kalendertag, im Falle der Unabhängigkeitserklärung Israels der fünfte Iyar , fällt jedoch nur selten zusammen. Im Jahr 2008 wurde der Unabhängigkeitstag aber auch nicht am fünften Iyar gefeiert. Der wäre auf Samstag, den 10. Mai gefallen. Der Sabbat ist Juden bekanntlich heilig, und viele festliche Aktivitäten, wie öffentliche Konzerte, hätten deshalb nicht stattfinden dürfen. Also wurde der Geburtstag Israels ganz einfach um zwei Tage auf den dritten Iyar vorgezogen, um religiösen Juden die Teilnahme an den Feiern zu ermöglichen.
    Noch mehr als die Debatte über das Datum der Feiern ist der schwindelerregende Übergang von tiefster Trauer zu ausgelassener Freude typisch. Am Morgen von Jom Hasikaron , dem Gedenktag für die gefallenen Soldaten, heulen für zwei Minuten die Luftschutzsirenen auf. Fast das ganze Land steht still. Autos halten auf den Autobahnen, Fahrer steigen aus und senken ihr Haupt in Andacht an die mehr als zweiundzwanzigtausendvierhundert Gefallenen. Auf Bürgersteigen und in Supermärkten gedenkt man derjenigen, die für die Unabhängigkeit des Staates mit ihrem Leben bezahlten. Auf zig Friedhöfen weinen Väter an den Gräbern ihrer Söhne, Kinder am Grab von Vater oder Mutter. Viele Israelis haben Familienangehörige, Freunde oder Bekannte, die in einem Krieg gefallen sind.
    Dann, am Abend, ist schlagartig alles vorbei. In einer kurzen Zeremonie wird noch einmal an die Opfer und Helden erinnert, dann wird die Flagge mit dem Davidstern auf Vollmast gehisst, fröhliche Märsche und Popsongs tönen aus dem Radio. Der Himmel, am Vortag noch mit Schwermut erfüllt, wird nun mit bunten Feuerwerken erhellt. Kinder strömen auf die Straßen und sprühen jauchzend Rasierschaum auf Passanten. Die erhabene Stille des Vormittags ist vergessen. Bis in die Morgenstunden fliegen Musikstars in Helikoptern von einer Freilichtbühne zur nächsten. Menschen tanzen, singen und trinken im Freien. Israel geht innerhalb weniger Minuten von Schmerz zu ekstatischer Freude über.
    Das Fest der Freiheit der Israelis bedeutet für Palästinenser meist Ausgangssperre: Den Unabhängigkeitstag Israels nennen sie den Yaum an-Naqba , den Tag ihrer Katastrophe. Für sie war die Gründung Israels der Beginn ihres Leides. Nicht nur jenseits, auch diesseits der grünen Linie ist das eigenartige Gedenk- und Feiertagspaar problematisch: In arabischen Dörfern Israels heulen die Sirenen erst gar nicht auf. Für die Palästinenser mit israelischer Staatsangehörigkeit, immerhin ein Fünftel der Bevölkerung, sind diese nationalen Feiertage Momente schwerer Identitätskrisen, wenn ihnen deutlich wird, wie sehr ihre Loyalität zwischen ihrer Staats- und ihrer Volkszugehörigkeit gespalten ist. Doch nicht nur sie haben ein zwiespältiges Verhältnis zu ihrem Staat: Jahr für Jahr empören sich die Medien von Neuem über Juden in ultraorthodoxen Stadtvierteln, die während der Sirene nicht stehen bleiben, weil sie die Gedenkminute und die Feiern am Tag danach für heidnische Bräuche halten. Dass selbst diese Augenblicke den Staat nicht einen, ist vor allem für junge Israelis, die kurz vor ihrem Wehrdienst stehen und dieses paradoxe Gemisch verschiedenster Bevölkerungsgruppen bald mit ihrem Leben verteidigen sollen, problematisch.
    Jedes Jahr diskutieren Israelis über dieses schizophrene Wechselbad der Gefühle. Doch genau dieser jähe Umschwung, das gelebte Paradox und die leidenschaftlichen offenen Debatten darüber, wie man es richtig macht, sind in meinen Augen für dieses Land typisch. Temperament, die Bereitschaft und Fähigkeit, Ungewissheit zu ertragen und mit ihr offen und konstruktiv umzugehen, machen für mich den Reiz Israels aus. Ein Land, auf das jede Definition passt, und dem doch keine gerecht werden kann.

Die israelischsten Fragen
Zwei Fragen gelten als typisch israelisch. Die erste: »Wo hast du in der Armee gedient?« ist recht harmlos. Die zweite hat jedoch manchmal schwerwiegende Konsequenzen
    »Wo sind wir zu den Feiertagen?«, ist die Frage, die sich junge Paare alle paar Wochen zu einem der zahlreichen jüdischen Feiertage stellen. Das Dilemma

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