Lesereise - Israel
gerät«. »Heute arbeiten wir ganz, ganz genau, sonst wird der Kuchen so trocken wie die Negevwüste!«, mahnt Bertele. Ein erstes Lächeln huscht über die ernsten Gesichter der sechs Frauen und zwei Männer, von denen jeder rund dreitausendvierhundert Euro gezahlt hat, um sich in dreißig Workshops jeweils bis kurz vor Mitternacht abzurackern.
»Backen ist Leben«, sagt Bertele. Das war für den gebürtigen Ravensburger schon immer so. »Meiner Familie gehörte ein Bauernhof und ein Hotel. Wir Kinder mussten einen Beruf erlernen, um mit anpacken zu können.« Arbeit galt in der schwäbischen Familie »als einer der höchsten Werte«, sagt Bertele. Mit fünfzehn Jahren ging der kleine Hans in die Konditorlehre, machte monatelang Eis, später durfte er in die Backstube. »Das war eine harte Zeit. Zur Lehre gehörten damals Ohrfeigen und Tritte in den Hintern, sogar als ich schon neunzehn Jahre alt war.« Nach seiner Lehre ging Bertele in die Hotellerie, wo er bald eine führende Position innehatte. Der Ruf nach Israel kam für ihn unerwartet: »Mein Hotelchef war nach Tel Aviv versetzt worden. Nun bat er mich darum, dort Patissier zu werden.« Bertele hatte Zweifel. Es war 1967, der Sechstagekrieg war gerade vorbei. »Was soll ich da, ist doch gefährlich«, antwortete er damals. »Da packte er mich bei der Ehre. Schließlich sei ja auch seine Frau in Israel, und es sei gar nicht so schlimm. Also ging ich.«
Anfangs wollte Bertele nur kurz in Israel bleiben: »In der Küche hassten sie mich, weil ich Deutscher war. Meine Mitarbeiter wollten mich rausekeln.« Den trotzigen Schwaben bewegte dies jedoch dazu, noch härter zu arbeiten. Nach kurzer Zeit wurden seine Widersacher entlassen und er zum Küchenchef ernannt. Außerhalb des Hotels ging Bertele auf Entdeckungsreisen: »Israel war wie ein Paradies – immer schien die Sonne, die Menschen waren warm, offen und direkt. Es gefiel mir und ich beschloss zu bleiben.« Das Gastland wurde Heimat. Die Beziehung zu Nira, die später seine erste Frau werden sollte, überzeugte ihn davon, zum Judentum überzutreten. »Sechs Mal schmissen die Rabbiner mich aus ihrem Büro. Aber ich blieb hartnäckig«, beschreibt Bertele ein Verhalten, das sich als Grundmuster entpuppt. »Judentum war für mich etwas sehr logisches, ich habe viel darin investiert. Als die Rabbiner schließlich bereit waren, mich zu prüfen, waren sie von meinem Wissen überrascht.« Mit einem Lachen erinnert er sich an die schmerzhaften Aspekte des Übertritts: »Nach der Beschneidung im Krankenhaus konnte ich drei Tage lang nicht gehen.«
Noch immer betrachteten viele Israelis ihn als Fremden. Deswegen entschloss Bertele sich, zur Armee zu gehen. Im Jom-Kippur-Krieg 1973 diente er als Reservist der Artillerie. »Sie zogen uns ein. Auf dem Weg zu den Golanhöhen sah ich die Geschütze schon weit entfernt von der Grenze im Tal am See Genezareth stehen. Da verstand ich, wie ernst die Lage war.« Sechs Monate diente Bertele und focht in den schwersten Schlachten mit. »Danach wurde ich von allen als Israeli anerkannt. Dass ich Deutscher gewesen war, spielte keine Rolle mehr. Sogar die Familie meiner Frau, von denen viele im KZ gewesen waren, akzeptierten mich nach 1973 als einen der Ihren.« In den achtziger Jahren hatte Bertele genug von der Hotellerie. Er startete in einem kleinen Vorort einen ersten Backkurs. Im sozialistisch geprägten Israel, in dem alle von subventioniertem Einheitsbrot lebten, sprachen sich die Kurse des deutschen Meisterbäckers schnell herum. Alles, was in den hiesigen Kochshows heute Rang und Namen hat, lernte in den achtziger Jahren bei Bertele. Seine Schüler betreiben heute erfolgreiche Restaurantketten und veröffentlichen in ihren Kochbüchern die Kniffe, die sie bei ihm erfuhren. Inzwischen hat der Bäcker aus Deutschland sogar eine eigene Kochshow im Fernsehen. Israel bäckt jetzt begeistert deutsch.
Ein anderer Schüler ist A., der anonym bleiben will. Der achtundzwanzig Jahre alte Leiter eines Kaffeehauses hat mehr als nur geschäftliches Interesse an Berteles Kurs. »Meine Freundin und ich wollen heiraten. Aber ich bin Muslim, und sie ist Christin. Deswegen sind ihre Eltern dagegen«, sagt er. Er und seine Geliebte wollen durchbrennen und haben einen Geheimplan ausgetüftelt: »In Kanada werden Konditoren gesucht. Wenn ich hier fertig bin, kann ich eine Einreisegenehmigung erhalten, damit ich mit meiner Freundin dorthin flüchten und wir heiraten können.«
Stundenlang
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