Lesereise Mallorca
achtköpfigen Besatzung in den Gewässern der Balearen unterwegs, immer im Gefolge der großen Fischschwärme des westlichen Mittelmeers.
Der Cabrera-Archipel mit seinen alles in allem siebzehn Eilanden und der gleichnamigen Hauptinsel ist ihm inzwischen zur zweiten Heimat geworden: weil es keine Uhren gibt und irgendwer vor einer Ewigkeit die Zeit angehalten hat. Und weil Cati und ihr Vater Joan diese gemütliche Bar mit dem Blick aufs Wasser führen. Und ein bisschen auch, weil hier keiner viel redet, keiner zu viel fragt, es fast keine Autos und gar keine Leuchtreklame gibt, kein Hotel, nur die dreißig Ranger, Naturschützer und Feuerwehrleute der Nationalparkbehörde, dazu die immer fröhliche, dicke Krankenschwester, die drei Polizisten, die Familie um Joan und seine Schafe und Wirtin Cati.
José Reyes Ferré ist gerne hier. »Es ist mein Paradies«, sagt er. Und es macht ihn offenbar ein bisschen verlegen, das zuzugeben. Er schaut auf die Wellen und zupft sein graues T-Shirt zurecht. Es riecht nach Fisch diesen Morgen. Sie haben einen der Kühlräume an Bord leer gemacht und gereinigt, die Ausbeute der Fangfahrt in Kisten verpackt und auf ein anderes Boot verladen.
Besuch kommt nur tagsüber nach Cabrera, wenn irgendwann zwischen zehn und elf am Vormittag das erste Ausflugsschiff aus Mallorca festmacht – und üblicherweise spätestens nachmittags um fünf wieder ablegt. Davor ist es mucksmäuschenstill hier und danach gleich wieder – es sei denn, es läuft gerade ein Fußballspiel auf dem sandigen Platz am Ortsrand: ein Viertel der Inselbevölkerung gegen ein anderes. Die restliche Hälfte schaut zu, feuert an, jubelt.
Ein bisschen näher an die Welt herangerückt ist Cabrera erst, seit das knallgelbe Speedboat mit seinen Plastikschalensitzen und Haltebügeln im Achterbahn-Look von Colonia de Sant Jordi nach Es Port Premiere feierte. Wie eine Rakete schießt es in nur zwölf Minuten herüber, springt in wilder Hatz von Wellenkamm zu Wellenkamm, scheint aufzuprallen und wieder abgestoßen zu werden. Es hat die Lebensgeschwindigkeit Mallorcas drauf – und bleibt ein Fremdkörper wie aus einer anderen Welt auf Cabrera.
Der gesamte Archipel war fast ein Jahrhundert lang militärisches Sperrgebiet: tabu für Besucher, terra incognita für Ausflügler – selbst für mallorquinische. Die Soldaten sind inzwischen abgezogen, und seit einigen Jahren ist die Inselgruppe mit ihren gut dreizehn Quadratkilometern Landfläche und den umgebenden Gewässern Nationalpark – der bislang einzige der Balearen, strenger geschützt und besser bewacht als zu Zeiten des Militärs, dessen lästige Manöver der urwüchsigen Insel über die Jahrzehnte immer wieder Wunden zugefügt hatten. Gleichwohl, zum Ärger keineswegs nur der Umweltschützer, sind noch immer Militärübungen erlaubt – mit der Beschränkung auf maximal dreihundert Mann und dem Verbot von Artilleriefeuer. De facto finden solche Trainingseinheiten jedoch kaum noch statt.
Urbanisierung ist auf Cabrera strikt ausgeschlossen, Anlandung ausschließlich an der kurzen, breiten Mole von Es Port gestattet. Maximal fünfundneunzigtausend Ausflügler pro Jahr sind zugelassen. Besucher dürfen nur bei Tag kommen, nicht über Nacht bleiben – es sei denn, sie befinden sich an Bord eines Schiffes und haben in der weit geschwungenen, geschützten Bucht von Es Port unterhalb der Festung aus dem 14. Jahrhundert Anker geworfen.
Bis zu fünfzig Boote dürfen dort zeitgleich liegen – jedoch jedes Einzelne nur nach Voranmeldung bei der Nationalparkbehörde in Palma, im Hochsommer nur für eine, in den Monaten davor und danach für maximal zwei aufeinanderfolgende Nächte. Von Oktober bis Mai ist die Nachfrage geringer, die See rauer, Cabrera noch stiller. Wer dann kommen will und artig anfragt und ein paar weitere Auflagen erfüllt, darf bis zu einer Woche am Stück bleiben. Im Sommer aber sollte man sich gut einen Monat im Voraus anmelden, denn die Nachfrage nach den Liegelizenzen ist gerade dann groß: nicht unbedingt wegen der Schinkenbrote und der Oliven in der Bar an Land, mehr wegen dieser unerwarteten Abgeschiedenheit.
Ignacio Larrauri kann das gut verstehen. Er ist schon seit zwei Jahrzehnten dabei – immer eine Woche hier auf Cabrera, die nächste zu Hause drüben auf Mallorca. Manchmal darf seine Familie für ein paar Tage zu Besuch kommen, wenn sie in der Unterkunft alle ein wenig enger zusammenrücken. Der Mann ist Ranger, schaut nach den nistenden
Weitere Kostenlose Bücher