Lesereise Mallorca
Fischadlern an der Süd-, den Delfinen in den geschützten Buchten der Nordküste, nach Schildkröten und Echsen, manchmal sogar nach den letzten paar Schafen von Joan.
Auf Patrouillenfahrt schaukelt er mit seinem zerbeulten Landrover über die durchweg unbefestigten Pisten der Insel und kann auf mancher Strecke nur hoffen, dass ihm nicht gerade das kaum weniger zerbeulte Auto der Jungs von der Guardia Civil, der Polizei, entgegenkommt. Nicht dass sie etwas gegeneinander hätten, im Gegenteil. Jeder kennt jeden, und viele sind Freunde. Aber die beiden Autos würden auf den engen Schlagloch-Feldwegen kaum aneinander vorbei passen und einer der beiden müsste einige Serpentinen rückwärts fahren, bis das Problem geklärt wäre. Denn meistens lässt die Landschaft keinen Platz für zwei Fahrzeuge nebeneinander. Und wo endlich ausreichend Fläche wäre, ist Ignacio gegen das Überholen: weil er nicht nur Fischadler, Delfine und Echsen schützen muss, sondern auch die seltenen Pflanzen am Wegesrand. Keine davon will er unter seinen Reifen haben – und niemanden anderen beim Darüberfahren erwischen. Auch nicht die Polizisten.
Solche Probleme gibt es nicht, wenn Ignacio nach Feierabend seinen Lieblingsplatz ansteuert: den faro Punta Ensiola. Gut sechs Kilometer Fußweg pro Strecke sind es bis zu diesem Leuchtturm und nirgendwo auf Cabrera ist die Welt weiter weg: »Ich hocke mich dort kurz vorm Sonnenuntergang auf die Felsen und sehe den Möwen dabei zu, wie sie den Wind reiten«, schwärmt er.
Es ist tatsächlich kaum zu glauben, dass der Trubel Mallorcas nur zweieinhalb Kutter-, eineinhalb Ausflugsbootstunden oder zwölf Schnellboot-Fahrtminuten entfernt ist. Undenkbar sogar, dass Catis Bar mit dem Fernseher oben an der Wand nur anderthalb Stunden Fußmarsch weg ist.
»Die Soldaten«, erzählt Ignacio, »haben sich früher einen Spaß mit Neuankömmlingen gemacht, die sich über den Dienst auf der Insel beklagt und ihre Tage dort als zu langweilig empfunden haben. Denen haben sie erzählt, dort drüben am anderen Ende des Eilands gebe es eine tolle Disco. Die Lichtstrahlen der Werbereflektoren könne man schließlich sogar über die Berge hinweg bis Es Port sehen. Und sie sind losmarschiert.« Er lacht. »Und später haben sie andere mit demselben Scherz hereingelegt.«
Was für ein Glück, dass alles so geblieben ist und die bereits genehmigten Pläne des Baukonzerns Marsans aus den fünfziger Jahren, als der Tourismus drüben auf Mallorca zu boomen begann, dann doch nicht umgesetzt wurden. Damals sahen die sogar vom Militär bereits abgenickten Pläne einen Jachthafen mit angeschlossenem Einkaufszentrum, dazu mehrere Hotels mit insgesamt dreitausend Zimmern auf Cabrera vor. Irgendwie kam das Projekt wieder ins Stocken, ehe ernsthaft damit begonnen wurde. Das Militär behielt dann doch lieber die Zügel in der Hand und hielt Besucher für Jahrzehnte umso rigoroser fern – bis Cabrera als Vorposten im Wasser strategisch keine Rolle mehr spielte, die Basis im Unterhalt mehr kostete als nutzte und es opportun war, Standorte zu schließen und Liegenschaften aufzugeben.
Wie unterdessen die Bauersfamilie um Joan und Cati auf die Insel kam und warum sie als einzige selbst zu Zeiten des militärischen Sperrgebiets bleiben durfte, weiß keiner genau – nicht mal Ignacio. »Joan ist seit jeher meistens mürrisch«, sagt er. »Er spricht nicht darüber.« Er sei da. Das müsse genügen. Und außerdem wolle es sich niemand mit ihm durch allzu viele Nachfragen verderben, denn er backt in einem Holzofen das beste Brot, das man sich vorstellen könne. Und er betreibt die Bar. Wahrscheinlich sahen das schon die Militärs so und ließen ihn gewähren: Das alte Steinhaus am Ortsrand jedenfalls gehörte schon immer der Familie, die Schafe waren schon ewig dort. Und die Sache mit der Vertreibung aus dem Garten Eden hat schon in der Bibel zu reichlich Aufregung geführt. Das wollte man hier wohl nicht nochmal haben.
Tochter Cati ist so ähnlich geraten. Ob sie sich dazusetzen und erzählen mag? Vom Leben auf Cabrera, vom Alltag ganz ohne Massentourismus, ohne Läden, Hotels, Leihwagen, ohne Pools und all das, was »drüben« längst zum Leben dazugehört. Sie winkt ab. Reden liege ihr nicht. Das sollen andere machen. Nicht sie, nicht ihr Vater, einfach irgendwer anderer.
Im Laufe der Jahre ist sogar der Nachname auf der Strecke geblieben. Keiner weiß ihn – wahrscheinlich außer der Firma, die einmal im Monat die
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