Lesereise Mallorca
Gedächtnis verloren zu haben: Die solide gezimmerten Buden haben außergewöhnlich viele Nägel, Riegel, Scharniere und sehen ebenso ein- wie ausbruchssicher aus.
Ob silberne Stiefel, violett lackierte Turnschuhe, orangefarbene Handtaschen, Lederbeutel im Leoparden-Look, knallrote Kinderbademäntel mit weißem Polyacryl-Pelzkragen in Weihnachtsmannoptik oder Ketten aus Edelkunstperlen: alles zu haben in den Straßen von Mallorcas Inselhauptstadt. Wer mag, kann zum Beispiel an der Avinguda Jaume III. achthundert Euro für ein Sakko hinblättern und gleich noch einen Kaschmirpullover für zweihundertfünfzig mitnehmen – oder irgendwo zwischen Plaça Mayor und Plaça Olivar schicke Schuhe für bloß fünfunddreißig Euro erstehen – sofern er am Weihnachtsmann vorbeikommt. Santa Claus steht dort fast lebensgroß, aber aus Kunststoff und mit Mechanik im Oberkörper im engen Eingang eines Schuhgeschäfts. Wenn er gerade wippt wie der Duracell-Hase auf Ecstasy, kann einige Momente lang keiner mehr heraus – ein Vorteil für den Geschäftsinhaber. Aber leider kann auch keiner hinein, und mancher macht einen erschreckten Sprung zur Seite und rempelt womöglich den Maronenröster in der Straße. Aber der kennt das schon: »Es sind ja jedes Jahr nur ein paar Wochen, in denen sich der Weihnachtsmann so breitmacht«, sagt er. Und röstet ungerührt weiter.
Karussell und Hüpfburg vor der Markthalle Mercat de l’Olivar interessieren derweil nur ein paar tütenbepackte Mütter. Die Kinder spielen lieber auf der Freifläche daneben Fußball – wie im Frühjahr, im Herbst. Und im Sommer. Bis der Glockenschlag der Kathedrale Sa Seu über die Dächer sinkt, die Metalljalousien vor den Schaufenstern und Türen der Läden mit Karacho heruntergelassen werden, Pedro Amengual die Gardine aus Würsten vor seinem Tresen zuzieht und Feierabend macht – um ein Spanferkel weihnachtlich mit sobrassada zu füllen.
Sonnenseiten
Der deutsche Buchladen in Palma
Seit 1996 verkauft er Bücher, ohne je die Begeisterung dafür verloren zu haben: vielleicht, weil er sie auf Mallorca verkauft. Vielleicht auch, weil seine Kunden sich ein kleines bisschen mehr daran erfreuen als anderswo. Es liegt daran, dass sie ein kleines bisschen länger warten müssen, denn von den weit über eine Million lieferbaren Titeln in deutscher Sprache hat Edgar Knerr nur wenige Tausend in den Regalen. Gewisses Warten schürt schließlich die Vorfreude. Und was will man mehr, als in der Sonne warten zu können, auf der Terrasse der eigenen finca . Oder irgendwo am Strand. Hauptsache auf Mallorca.
Zu Edgar Knerr jedenfalls kommen die deutschsprachigen Residenten der Insel: die Leute, die ein Haus auf Mallorca haben – weniger die Urlauber, die Strandlektüre suchen und nur zwei Wochen bleiben. Seinen Laden findet man, obwohl im Zentrum Palmas gelegen, nicht unbedingt durch Zufall. Man muss wissen, wo er ist, die kleine Straße Carme gezielt ansteuern, an der Sprachschule im Erdgeschoss der Hausnummer vierzehn vorbei die Treppe in den ersten Stock in die Räumlichkeiten einer ehemaligen Apotheke steigen.
Dort betreibt der gebürtige Sauerländer die deutschsprachige Buchhandlung seit anderthalb Jahrzehnten im selbst gewählten Exil – getragen vom Stammpublikum. »Unsere Sortimentstiefe ist viel geringer als in den meisten Buchhandlungen Deutschlands«, erzählt der Vater von Zwillingen. »Das Geheimnis liegt eher darin, dass wir selbst hier im Ausland jedes lieferbare deutsche Buch zum Originalpreis beschaffen können und anders als Online-Anbieter auch noch schneller liefern – ohne horrende Aufschläge fürs Auslandsporto. Zweimal die Woche bekommen wir alle gewünschten Bücher per Luftfracht direkt vom Grossisten aus Deutschland.«
Seine Stammkunden kommen deshalb oft mit langen Listen nach Palma gefahren, stöbern ein bisschen in den Regalen zwischen Kochbüchern und Esoterik, zwischen Krimis und gedruckten Sprachkursen nach zusätzlichen Zufallstreffern – und ordern dann, was auf ihrem Zettel steht, um all das zwei oder drei Tage später im ersten Stock bei Edgar Knerr abzuholen: gänzlich frachtfrei, sofern kein einzelnes Buch mehr als ein Kilo wiegt. Liegt es darüber, werden fünf Prozent Aufschlag fällig – sofern man in den Club der Buchhandlung eingetreten ist, einmalig drei Euro gezahlt und sich damit so etwas wie einen Stammkundenstatus erkauft hat.
Knerr hat seine Nische in einem schwierigen Markt gefunden und nicht bereut, damals seine
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