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Lesereise New York

Lesereise New York

Titel: Lesereise New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Noll
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Jahren der bekannteste Spieler auf den Straßen von New York. Er war der Star im Cage, er fegte die alten Hasen vom Platz, wie er wollte. Man nannte ihn bereits den nächsten Kareem Abdul-Jabbar. Sein Name sprach sich herum, die College- Scouts wurden auf ihn aufmerksam und 1987 holte ihn der berüchtigte Coach Jerry Tarkanian an die Universität von Las Vegas. Tarkanian hatte sich einen Namen gemacht, weil er offensiv die Meinung vertrat, dass es ihm egal sei, ob seine Spieler den akademischen Anforderungen eines Colleges genügen, solange sie nur gut spielen. Wenn schwarze kids , die alles auf Basketball gesetzt haben, für ihr College siegen, so propagierte Tarkanian, verdienen sie es auch, dafür einen Abschluss geschenkt zu bekommen. So hätten sie zumindest eine Chance auf einen vernünftigen Job, falls es mit der Profikarriere nichts wird. Daniels war eine Gallionsfigur für Tarkanians provokative Philosophie – er konnte mit neunzehn gerade einmal so gut lesen wie ein Drittklässler.
    Doch als Daniels in Las Vegas dabei erwischt wurde, wie er Crack an einen getarnten Polizisten verkaufte, musste sogar Tarkanian ihn fallen lassen. Daniels schlug sich in niedrigeren Ligen für wenig Geld durch und rang dabei immer wieder gegen das Ghetto im Kopf, das er einfach nicht abschütteln konnte. 1989 wurde er bei einem Drogendeal in Brooklyn dreimal in die Brust geschossen. Trotzdem holte Tarkanian ihn zu den San Antonio Spurs, als diese ihn 1992 zum Cheftrainer ernannten.
    Bis 2000 spielte Daniels in der NBA und hatte dabei einige glanzvolle Auftritte, wie etwa sein in New York bis heute legendäres Spiel im Madison Square Garden, bei dem er quasi im Alleingang die New York Knicks auseinandernahm.
    Daniels Ballade hatte ein Happy End. Tarkanians Vertrauen hat ihn gerettet. Daniels hat ausgesorgt und lebt glücklich mit seiner Familie in seinem alten Stadtteil Queens.
    Andere Storys legendärer streetballer endeten nicht so glücklich. Sie hatten keinen Tarkanian, der sie durchschleppte, obwohl sie schwer sozialisierbar waren. Da war etwa Earl »The Goat« Manigault, der größte Rivale von Kareem Abdul-Jabaar im Harlem der siebziger Jahre, der seine Heroinsucht nie überwand und verarmt und schwer krank 1998 starb. Oder Joe Hammond, der in den siebziger Jahren ein Angebot der LA Lakers ausschlug, weil er mit Drogendealen auf der Straße mehr verdiente. Er landete für elf Jahre im Gefängnis und kam als gebrochener, kranker Mann zurück.
    Daniels kannte Manigault und er kannte auch Hammond. Sie waren einst seine Idole gewesen. Er weiß deshalb, wie gut es ihm geht. Das letzte Viertel ist angebrochen, seine TNP liegen jetzt mit dreißig Punkten in Führung. Daniels hat genug für heute und hat sich in der Ecke des Käfigs auf einen Klappstuhl gesetzt. Auf seinem Gesicht liegt wieder dieses bübische Lächeln, wie nach einem gelungenen Pass, den er dem maroden Körper noch entlocken konnte, jenes Lächeln, das eine tiefe Zufriedenheit ausstrahlt, einen Moment unverfälschten Glücks.
    Die Schatten auf dem Spielfeld sind lange geworden und kriechen an der Backsteinwand der Mietskaserne hoch, die den Platz nach Osten hin begrenzt. Eine erlösende Brise weht vom Fluss herauf. »Das hier, das ist das Leben«, erklärt Daniels ungefragt, während er in die Abendsonne blinzelt. »Das ist es, was ich wirklich bin.«

Der alte Mann und die Paradiesvögel
Seit vierunddreißig Jahren steht Bill Cunningham auf einer Kreuzung in Manhattan und sucht die Schönheit
    An der Ecke 57th Street und Fifth Avenue, da, wo der Manhattaner Fußgängerverkehr am hektischsten und dichtesten ist, steht ein schmaler kleiner Mann in einer blauen Handwerkerjacke. Er tippelt hin und her, schaut nach links, schaut nach rechts, stellt sich auf die Zehenspitzen, um weiter die Fifth Avenue hinunterblicken zu können, so wie jemand, der ungeduldig auf ein Rendezvous wartet.
    Doch Bill Cunningham wartet auf niemanden. Manchmal steht er stundenlang nur so da und späht und lässt den Passantenstrom an sich vorbeiziehen. So lange, bis er etwas sieht, das seine Aufmerksamkeit gefangen nimmt. Dann zückt er seine Kamera, springt selbstvergessen auf die Straße und belästigt sein Subjekt mit unbarmherziger Beharrlichkeit.
    Was er genau sucht, das kann Bill Cunningham vorher nie sagen, das weiß er erst, wenn er es gefunden hat. »Ich suche nach Schönheit«, sagt er immer, wenn er danach gefragt wird, was er eigentlich macht. Die Schönheit kann auf den

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