Lesereise Normandie - der Austernzüchter lädt zum Calvados
Verschwiegenheit ihrer Kutsche viele Stunden mit nicht näher belegter Aktivität verbringen, geändert. Doch die alten normannischen Fachwerkfassaden, die krummen, oft nur handtuchbreiten Gassen und nicht zuletzt die Kathedrale Notre-Dame würde Flaubert, der abgesehen von einigen Studienjahren in Paris und einer ausgedehnten Orientreise sein ganzes Leben in Rouen verbrachte, mühelos wiedererkennen – ebenso wie den Justizpalast.
Dort wurde ihm wegen des anstößigen Inhalts von »Madame Bovary« der Prozess gemacht. Es gelang Flaubert, sich mit Hilfe eines Anwalts und dem Hinweis auf das gerechte Ende Emmas einer Verurteilung wegen Verstoßes gegen die guten Sitten zu entziehen. Mit einem Schlag war er berühmt.
Rouen hat seinem ruhmreichen Sohn nichts nachgetragen. Die Stadt pflegt sein Erbe liebevoll, aber leidenschaftslos. So sind seine Wohnstätten als Museen erhalten und seine Bibliothek wird im Trauungssaal des Rathauses von Canteleu als schöne Hochzeitskulisse bewahrt. Doch die Geburtstage des Dichters verstreichen in aller Regel ohne besondere Feierlichkeiten.
Auch das Elternhaus Flauberts ist heute ein Museum: die Dienstwohnung von Vater Achille-Cléophas Flaubert, Chefchirurg am Krankenhaus Hôtel-Dieu. Die Architektur des Gebäudes aus dem 18. Jahrhundert erinnert eher an ein Herrenhaus als an ein Hospital. Im Schlafzimmer im ersten Stock wurde Gustave Flaubert am 12. Dezember des Jahres 1821 geboren. Authentisch sind hier nur die Holztäfelung an den Wänden und die verzierten Wandleuchter. Das Bett im Alkoven mit der schweren Tagesdecke macht die Tatsache, dass in diesem Raum einer der großen französischen Erzähler zur Welt kam, dennoch eindrücklich. In den Zimmern der Kinder Gustave, Achille und Caroline unterm Dach befinden sich heute Büros.
Die übrigen Räume aber erzählen viel über das Familienleben, die Einflüsse, die die Kinder prägten, und das Leben im 19. Jahrhundert. Gustave war ein kränkliches Baby, für das Vater Achille als Erstes eine Grabstelle kaufte. Zwei Kinder hatten seine Frau und er bereits verloren, als ihnen dieser Sohn geschenkt wurde. Doch Gustave überlebte. Er wuchs zu einem verträumten Knaben heran, der als begabt galt, sich jedoch oftmals auf andere als schulische Belange konzentrierte und dem Vater häufig vom Garten durchs Fenster beim Sezieren zuschaute.
Ein Teil des Museums ist dem Wesen der Medizin im 19. Jahrhundert gewidmet. Sehr deutlich zeigt diese Ausstellung, dass in einer Zeit, als allein Tuberkulose und Syphilis Millionen dahinrafften, jede Krankheit ein Todesurteil bedeuten konnte. Ein Lager mit Strohmatratze, deren Größe auf den ersten Blick großzügig erscheint, war für sechs Patienten bestimmt, die hier in engstem Miteinander Leid und Keime teilen konnten. Kuriositäten wie Schädel, die auf für bestimmte Verbrechen typisch erscheinende Beulen untersucht wurden, sowie furchterregende Exponate von der Amputationssäge bis zur Mumie im Glasschrank beweisen zudem, dass der Arztberuf nichts für Zartbesaitete war.
Wie eigentlich das ganze Leben. In einem Glasschrank ist das aus Stoff gestaltete Becken einer Frau ausgestellt. Mit dieser Puppe, die Madame du Coudray im 18. Jahrhundert erfand, konnten Hebammen die Entbindung von Steißlagen üben. Die Ausstellung »Les Enfants du secret« im Erdgeschoss erzählt von den sozialen Realitäten der Epoche. In einer Zeit, als eine Geburt für eine unverheiratete Mutter eine Katastrophe bedeutete, begannen ungezählte Babys ihr Leben auf den Stufen von Kirchen oder Krankenhäusern – wenn sie es denn begannen. Zettel mit Geburts- und Taufdaten erinnern an die Kinder, die vor dem Krankenhaus Hôtel-Dieu abgestellt wurden.
Flaubert, der es Bruder Achille überließ, dem Vater als Chirurg zu folgen, und selbst nur die Antriebe seiner Figuren sezierte, blickt heute von seinem Denkmal an der Place de Larme in Richtung seines Hauses in Croisset. Einstmals ein ruhiger Villenvorort an der Seine, ist Croisset heute Teil von Rouens Nachbargemeinde Canteleu. Vom Haus, das der Schriftsteller mit seiner verwitweten Mutter und der Nichte Caroline bewohnte, ist lediglich der Pavillon im Garten erhalten, in dem Flaubert täglich schrieb. Fünfunddreißig Jahre lang lebte und schrieb er im Haus am Fluss. Ermöglicht wurde ihm das zurückgezogene Leben durch das Erbe des Vaters, der das Anwesen 1844 gekauft hatte. Flauberts 1856 veröffentlichter Roman um die treulose Emma brachte ihm zwar Ruhm, doch keinen
Weitere Kostenlose Bücher