Letzte Aufzeichnungen
Professor Schneiders ab.
In der Presse, die ich jetzt in reichlichem Maß erhalte, wird viel von meinem 80. geschrieben.
Nun, die DDR macht ihnen also immer noch zu schaffen. Sie wird es wohl auch weiterhin tun.
17. September
Gestern war ein dramatischer Tag. Nachdem die Deutsche Bundesbank den Leitzins um 0,5 Prozent erhöht hat, was ein Signal zur Wende in der Zinspolitik darstellte, ist im europäischen Währungshaus großes Durcheinander eingetreten. Und aus Paris kam eine schlechte Meldung. François Mitterrand 159 hat eine Operation an der Prostata hinter sich. Jetzt meldet man etwas von Krebs. Die DDR war ja besonders mit Frankreich und Mitterrand verbunden. Sein möglicher Abgang von der Bühne – welche Folgen es haben wird – schwer von hier zu sagen. Jedenfalls, so scheint mir, ist sein Rücktritt in den Bereich der Möglichkeiten gerückt.
Aber Deutschland ist ja jetzt das große Deutschland, das er immer verhindern wollte. Ich habe die Befürchtung, es wird so werden, wie ich das bereits 1990 geschrieben habe. Die neonazistischen Ausschreitungen gegen Ausländer, Juden und Kommunisten werden zu einem weiteren Abbau der Demokratie führen. Die »wehrhafte Demokratie« führt zum Ausbau des Polizeistaates.
Von Dir, meine Liebe, kommt keine Nachricht. Die Rechtsanwälte 160 kriegen keine Telefonverbindung. Dein letzter Brief war vom 27. August. Robis Post ist bis jetzt auch noch nicht angekommen. Ich werde weiter warten müssen.
Die blöde Krankheit beschäftigt mich doch mehr, als ich mir anmerken lassen will. Es ist ein Warten auf den Tod, der nach den Erklärungen, die man mir gab, mit großem Schmerz kommen soll. Ja, an was soll man da noch denken? An einen guten Abgang für die Nachwelt? Der ist natürlich nötig, da zu viele schon über Jahre bestrebt sind, mich zu verleumden und schlechtzumachen und meine Arbeit herabzuwürdigen. Deshalb ist es wichtig, wenn es zum Prozess kommt, dass ich dort meine Position klarmache. Das wird vermutlich meine letzte Arbeit sein. 161
Die Staatsanwaltschaft vermittelt ein Gruselbild von mir. Der Lebenslauf – völlig entstellt – wird ausgerichtet auf eine Diffamierungskampagne. Ohne meine Rechtsanwälte würde ich manches nicht verstehen. Becker meinte, manches müsse ich nicht so ernst nehmen. Ich nehme diese Hetz- und Verleumdungskampagne jedoch ernst, jedes Wort, sie geht nicht nur gegen mich.
Außerdem lesen sie wenig von dem, was ich für sie schon geschrieben habe. Ich habe gesagt, dass man die Verbindung zwischen der DDR und meiner Person sehen müsse. Man zielt auf mich, meint aber die DDR. Ich nehme das politisch, die Anwälte verteidigen mich als Person.
Ich versuchte ja schon in Beelitz, die Anwälte gegen die Verleumdungskampagne einzusetzen, was damals nicht gelungen ist. Ein Dr. Kaul 162 fehlt mir und auch uns.
Soeben kommt die Meldung über die Ergebnisse der Krisensitzung der Währungshüter. Alles ist durcheinander. Das Wort Krise haben sie selbst benutzt. Ist also keine Erfindung von mir. Großbritannien und Italien sind aus dem Währungssystem ausgeschieden, sieben Prozent Abwertung bisher, Pfund und Lira im freien Fall. Abwertungen auch in Spanien und Portugal. Man wird sehen, wie sie die Krise bereinigen. Das wird sicherlich alles auf den Schultern der Massen, des Wahlvolks abgeladen werden. Die Kleinen werden für die Großen zahlen und bluten müssen. So war es schon immer. Und nun gilt das auch für die Menschen in der Ex-DDR.
Der »große Reformator« war gestern hier in Berlin. Die Berliner unterließen es, ihm zu danken für Arbeitslosigkeit, Mietenexplosion, Perspektivlosigkeit. Er sieht sich als eine Art Nachfolger von Willy Brandt. Was er nicht ist. Er ist ein großer Lügner. Eigentlich heißt es, sie lieben den Verrat, nicht aber den Verräter. Aber das scheint bei ihm nicht zu gelten.
Einmal hat mir Herbert Wehner gesagt: »Werde nie ein Renegat.« Ich habe ihn damals nicht verstanden, dachte, er bezieht das auf sich, weil er als ehemaliger Kommunist 163 immer wieder wegen seiner Vergangenheit von den Konservativen angegriffen wurde. Aber je länger ich darüber nachdenke, könnte er es auch anders gemeint haben, etwa in dem Sinne, nicht weich zu werden und die Fahne zu wechseln.
1984 war Gorbatschow im Kreml der schärfste Sprecher gegen die DDR und gegen meinen geplanten Besuch in der BRD. Er wollte sich wohl nicht den Preis für die DDR vorschreiben lassen. Um etwas anderes ging es ihm nicht. Sie alle haben
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