Letzte Ernte. Ein kulinarischer Krimi
Freund Pekka Vatanen geleert hatte. Oder an der Tatsache, dass er für derlei Knochenarbeit allmählich zu alt wurde. Kieffer schaute vom Parkplatz des »Deux Eglises« hinauf gen Oberstadt. Er musste seine Augen mit der Hand beschirmen, so hell war das Licht des über der Notre-Dame schwebenden Glutballs. Er spürte ein Stechen hinter seiner Stirn, das sich bis tief in die Schläfen zog. Es war das verdammte Wetter, kein Zweifel.
Nachdem er zu Ende geraucht hatte, trottete Kieffer die Kellertreppe hinunter. Das »Deux Eglises«, dessen Koch und Besitzer er war, lag am Hang des Kirchbergs und war in einem alten Garnisonsgebäude untergebracht. Das Untergeschoss hatten französische, deutsche oder österreichische Besatzer, so genau ließ sich das nicht mehr rekonstruieren, mit Sprengstoff in den Fels getrieben; weit über die Grundfläche des kleinen Gebäudes hinaus erstreckte es sich in den Berg hinein. Angenehme Kühle legte sich auf Kieffers feuchte Stirn, als er den Keller betrat. Er ging vorbei an den Regalen mit Schengener Riesling und Elsässer Gewürztraminer, bog nach links ab und betrat den Raum, in dem das Laufband endete, über das man vom Vorplatz aus Waren in den Keller befördern konnte. Einer seiner Leute hatte die Kartoffelkisten dort bereits säuberlich gestapelt, fast die gesamte Bodenfläche stand damit voll. Xavier Kieffer machte sich daran, sie durchzuzählen. Es waren exakt fünfundzwanzig Boxen à zwanzig Kilo, wie bestellt.
Normalerweise würde er einen ganzen Monat benötigen, um eine derart große Menge Gromperen zu verbrauchen, wie man Kartoffeln in Luxemburg nannte. Doch falls alles gut lief, würde er diese fünfhundert Kilogramm binnen einer Woche verkochen. Denn morgen begann die Schueberfouer, die luxemburgische Version des Oktoberfests. Auf der Place du Glacis gab es dann drei Wochen lang Liebesäpfel und Zuckerwatte, außerdem Fahrgeschäfte und Schießbuden. Vor allem aber galt die Schobermesse Kieffers Landsleuten als willkommener Anlass, sich endlich einmal wieder an Luxemburger Klassikern satt zu essen. Festdeeg si Friessdeeg, wie man im Großherzogtum sagte, und so stopfte man sich auf der Kirmes voll: mit Gebakene Fësch, Fierkel um Spiess und Gromperekichelcher, vor Fett triefenden Reibekuchen.
Kieffer liebte Gromperekichelcher. Schon seit vielen Jahren versuchte er, einen Stand auf der Schueberfouer zu bekommen – ein schwieriges Unterfangen, da der Glacis deutlich kleiner war als die Münchner Theresienwiese und die Luxemburger Kirmes aus allen Nähten platzte. Aber dieses Jahr hatte er endlich eine der heißbegehrten Lizenzen ergattern können. Wochenlang würde er nonstop Fisch und Kartoffelpuffer frittieren. Kieffer überlegte, wie viel Speiseöl er für dieses Unterfangen wohl brauchte. Besser er bestellte gleich noch ein paar Hundert Liter, dann war er auf der sicheren Seite.
Durch seine Kellerpartie erfreulich erfrischt stieg er die Treppe in den noch leeren Schankraum des »Deux Eglises« hinauf. Er ging in sein Büro im hinteren Teil des Restaurants und nahm die Rechnung des Trierer Großhändlers zur Hand, von dem die Gromperen stammten. Als Kieffers Blick auf die Gesamtsumme fiel, stutzte er. Der Koch griff zum Telefon und wählte die Nummer des Großhändlers.
»Gemüse Meinhardt, Guten Tag.«
»Guten Morgen, Wolfgang.«
»Hallo, Xavier. Was gibt’s?«
»Ich rufe wegen der Kartoffeln an. Mit deiner Rechnung stimmt was nicht.«
»Wieso?«
»Ich habe ›Rose de France‹ bestellt, biologischer Anbau, aus der Auvergne.« Kieffer hatte eine ganz bestimmte, vorwiegend festkochende Kartoffelsorte geordert. Er experimentierte für seine in der ganzen Stadt berühmten Gromperekichelchen seit Jahren mit verschiedenen Varianten, und »Rose« war für Reibekuchen am besten geeignet.
»Und? Hast du die falschen bekommen?«, fragte der Großhändler.
»Nein, das nicht. Aber auf der Rechnung steht, dass die Kiste 19,44 Euro kostet, und das kann ja wohl nicht stimmen.«
»Einen Moment.«
Kieffer hörte Tastaturklackern. Er zündete sich eine Zigarette an und wartete. Nach etwa einer halben Minute meldete sich sein Lieferant zurück. »Das Problem ist, dass es sich bei dieser Sorte um einen Exoten handelt. Das Angebot ist sehr begrenzt.«
»Weiß ich, Wolfgang. Aber im Juni hat die Kiste noch die Hälfte gekostet. Und seitdem hat sich der Preis verdoppelt?«
»Leider ja. Irgendjemand muss viel ›Rose de France‹ gekauft haben. Deshalb ist der Preis durch die
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