Letzte Instanz
Indizienbeweisketten. Und
der Grund für den Mord an Melissa? Sie haben es letztlich ja schon angedeutet:
Wahrscheinlich hat er erfahren, daß sie mit Ihnen reden wollte.«
Ich spürte ein Schuldgefühl in mir
aufkommen. »Es ist indirekt mein Fehler gewesen. Ich habe Eyestone gesagt, daß
ich Melissa überreden wollte, an dem Tribunal teilzunehmen.«
Adah brummte etwas. Nach einer Weile
sagte sie: »Sie konnten das nicht wissen.«
»Nein.« Aber das Schuldgefühl blieb —
und würde immer bleiben.
Wir verfielen in Schweigen und sahen
Allie zu, die praktisch kopfüber im Baum hing. Nach einer Weile fragte ich:
»Hat Eyestone gesagt, wer die Sache damals mit der Bezirksstaatsanwaltschaft
abgekartet hat?«
»Die politischen Freunde des alten
Eyestone. Leonard hielt erst einmal den Mund. Erst als Lis Benedict wegen
Mordes angeklagt wurde, ging er zu seinem Vater und gestand es ihm. Er sagte,
er könne nicht zulassen, daß eine unschuldige Frau in die Gaskammer geschickt
würde.«
»Also ging Russell Eyestone zu seinen
politischen Freunden und machte einen Handel mit ihnen. Der Fall sollte einem
Ankläger übertragen werden, den man kaufen konnte — und dazu würde man einen
ebenso käuflichen Pflichtverteidiger suchen. Lis würde verurteilt, und die
Frage nach Cordys Mörder wäre damit erledigt. Aber Lis käme nicht in die
Gaskammer.«
Adah nickte. »Lis hat das gewußt. Es
gehörte zu dem Handel.«
»Aber warum willigte sie in eine
Regelung ein, die für sie Lebenslänglich bedeuten würde? Das hat mich von
Anfang an irritiert.«
»Ich nehme an, sie fühlte sich so
schuldig, als hätte sie es selbst getan. Vielleicht dachte sie, sie hätte das
lebenslange Gefängnis verdient .« Adah strahlte mich spöttisch an. »Sehen
Sie? Auch ich bin eine Psychologin.«
Ich lächelte zurück. »Es gibt noch
einen anderen Grund: Lis mußte an ihre Tochter denken. Mir kann niemand
erzählen, sie habe nicht gewußt, wie der Ring auf ihren Dachboden gekommen war.
In ihrem Abschiedsbrief schrieb sie: ›Du hast es immer gewußt, aber ich habe
nie gewagt, Dich danach zu fragen.‹ Das heißt, sie wußte, Judy war am Tatort.
Und Stameroff sagte, er habe Lis versprochen, Judy vor ihrer Erinnerung an jene
Nacht zu schützen.«
Adah schauderte. »Was ist das für ein
Kind, das einen abgetrennten Finger aufhebt und... die eigene Mutter beschuldigt?«
Darüber hatte ich mehr als einmal
nachgedacht, aber es gab da ein paar Dinge über Judy, die ich Adah nicht sagen
wollte. Sie würde sie selbst bald genug herausbekommen. »Nun ja«, sagte ich,
»sie hat eben wirklich geglaubt, daß Lis Cordy getötet hat. In Judys Augen
hatte ihre Mutter ihr Leben zerstört.«
»Es wäre so oder so zerstört gewesen,
wenn ihre Eltern sich hätten scheiden lassen.«
»Kinder sehen das anders. Sie denken
immer nur eingleisig. Ich wette, es ist ihr nie in den Sinn gekommen, daß Eyestone
Cordy ermordet haben könnte. Als sie ihn im Gang sah, war er für sie nur
jemand, der etwas über sie und ihre Mutter sagen könnte.«
»Zum Glück habe ich nicht vor, Kinder
zu kriegen«, sagte Adah.
»So? Reicht Ihnen Melissas Katze?«
Der Teufel sollte mich holen, wenn das
jetzt nicht das Lächeln einer liebevollen Mutter war.
Ich dachte noch einmal an die
Vergangenheit, an Judys Erinnerung an eine Nacht Ende Juli 1956, einen Tag nach
dem Zusammenstoß der Andrea Doria mit der Stockholm. An jenem
Abend kam Vincent Benedict nach einer Phase relativer Trockenheit betrunken
nach Hause und trank am Küchentisch weiter, bis er umfiel. Darauf gab er Judy
in die Obhut der Eyestones, und die gaben sie in ein Heim, wo der
Anklagevertreter leichten Zugang zu ihr hatte. »Hat Eyestone gesagt«, fragte
ich, »ob Vincent Benedict wußte, was Lis getan hatte?«
»Wegen der Münzen hatte er einen
Verdacht, aber am Anfang wollte er gegen die Anklage vorgehen. Dann hat ihm
Russell Eyestone das Ganze zurechtgelegt und einen fertigen Handel präsentiert.«
»Und das war das Ende von Vincent
Benedict.«
»Sie wissen, Sharon, die ganze
Geschichte widert mich an. Sie bedrückt mich auch. Was nützt es schon, wenn
kleine Leute wie ich für Gerechtigkeit kämpfen, während die Großen wie Russell
Eyestone und seine Freunde sich die Dinge zurechtlegen, wie sie sie brauchen,
und nicht einmal belangt werden können?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Ich weiß
nicht. Aber was wollen Sie tun? Aufgeben?«
»Manchmal denke ich, ja.«
»Aber Sie können nicht. Das steckt
nicht in
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