Letzte Instanz
Geschichte, dem
Kofferraummord von Phoenix und dem Fall Schwarze Dahlie in Los Angeles
vergleichbar. In den frühen Stunden des 23. Juni 1956, einem Samstag, fand ein
Gärtner die schrecklich verstümmelte Leiche der jungen Cordelia McKittridge,
Tochter aus feinster Familie, im Taubenhaus auf einem zwölftausend Quadratmeter
umfassenden Grundstück, das dem Institute for Northamerican Studies gehörte.
Bei dem Institut handelte es sich um eine sogenannte Denkfabrik, in der man
sich den Kopf über Politik und nationale Verteidigung zerbrach. Cordy, wie man
sie nannte, war in der Nacht zuvor mit einer Gartenschere buchstäblich zu Tode
gehackt worden. Danach war ihre Leiche regelrecht aufgebahrt worden, als läge
sie in einem Sarg. Eine besonders bizarre Note erhielt der Fall durch die
beiden Pennies, die ihre Augen bedeckten.
Der Verdacht konzentrierte sich
natürlich auf die Mitglieder dieser Denkfabrik, eine intellektuelle
Elitetruppe, die man aus den renommiertesten Universitäten des Landes
rekrutiert hatte. Mochten diese Leute auch in höheren Sphären schweben, hatten
sie doch sichtlich irdische Seiten. Zumindest von zweien ging das Gerücht, sie
hätten etwas mit Cordy gehabt. Cordy stammte aus einer wohlhabenden Familie,
deren Besitz auf die Tage des Silberbooms in Nevada zurückging. Seit dem
Winter-Cotillion zwei Jahre zuvor, mit dem Cordy in die Gesellschaft eingeführt
worden war, hatte sie sich einen Spaß daraus gemacht, die tugendhafte
Gesellschaft von San Francisco zu schockieren. Das Taubenhaus — ein kleines
rundes Gebilde mit hoher Balkendecke inmitten einer Baumgruppe hoch über dem
Pazifik — war dabei oft Ort eines Rendezvous gewesen. Am Abend ihres Todes war
sie angeblich dort mit dem Biochemiker Vincent Benedict verabredet gewesen.
Doch Benedict und seine Kollegen hatten zur gleichen Zeit an einem Bankett in
einem Restaurant im Bankenviertel teilgenommen. Der Staatsanwalt Joseph Stameroff
sollte später vorbringen, Benedicts Frau Lisbeth habe die ganze Verabredung
arrangiert, die nach einem Zusammenstoß zwischen beiden blutig und tödlich
endete.
Und dem hatten die Geschworenen in Lis
Benedicts Prozeß sich dann auch angeschlossen. Allerdings kamen damals auch
Gerüchte auf, einflußreiche Persönlichkeiten seien in den Fall verwickelt,
Polizei und Staatsanwaltschaft vertuschten gemeinsam etwas, und die wohlhabende
und mächtige Familie des Opfers habe Einfluß genommen. Aber das war das übliche
Gerede bei aufsehenerregenden Fällen, die die feine Gesellschaft betrafen und
sich um Reichtum, Macht und Sex drehten. Am Ende schenkte ihm niemand Glauben.
Lis Benedict wurde zum Tod in der Gaskammer verurteilt. In letzter Minute wurde
das Urteil in lebenslänglich umgewandelt. Jedesmal, wenn sie ein Gnadengesuch
einreichte, erschienen der Staatsanwalt aus dem Prozeß und ein Anwalt der
Familie McKittridge zur Anhörung und plädierten mit Erfolg gegen ihre
Freilassung.
Das war auch schon alles, was ich über
den Zwei-Penny-Mord wußte — Fakten, die ich dem Resümee einer Zeitung nach der
Entlassung von Mrs. Benedict entnommen hatte. Und der einzige Grund, warum ich
den Artikel überhaupt gelesen hatte, war meine Verbindung zu Judy. Grausame
Mordfälle hatten für mich nichts Faszinierendes. Ich habe in meinem Beruf als
Privatdetektivin zu viele Scheußlichkeiten gesehen, als daß ich die
blutrünstigen Geschichten über wahre Verbrechen noch genießen könnte, seien es
nun aktuelle Fälle oder vergangene. Vielleicht sollte ich mal über das
Wochenende einen Blick in das Gerichtsprotokoll werfen...
Für den Augenblick wollte ich nicht
weiter darüber nachdenken. Ich legte den Kopf in den Nacken und spürte die Sonne
auf meinem Gesicht. Ich war schon oft während meiner Jahre bei All Souls zu
diesem öffentlich zugänglichen, aber wenig besuchten Flecken hier oben auf den
Bernal Heights gestiegen. All Souls lag am Nordwesthang, ein gutes Dutzend
Blocks entfernt. Bernal Heights steigt kahl und rotgrau aus dem Meer von
kleinen, zusammengewürfelten Häusern an den unteren Hängen. Unbeweglich ragt
der Hügel aus einer Umgebung auf, in der die Natur schlimm gewütet hat. Während
große Teile der Stadt auf sandigem Grund gebaut sind, der sich bei einem
Erdbeben verschiebt oder sogar verfließt, ist diese Erhebung ein gewachsener
Fels. Während andere Gegenden sich in Wind und Regen oder durch die Gezeiten
verändern, haben die Elemente hier wenig Angriffsflächen. Wahrscheinlich gefällt
mir
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