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Letzte Instanz

Letzte Instanz

Titel: Letzte Instanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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ich soweit. Sie sind in Ihrem Büro?«
    »Ja.«
    »Melde mich dann.«
     
    Das große viktorianische Haus, in dem
All Souls residierte, war eingerüstet und der rauhe braune Außenputz für einen
neuen Anstrich vorbereitet. Doch als ich das grüne Rasendreieck auf der anderen
Straßenseite überquerte, sah ich keinen einzigen Arbeiter. Das allein war schon
ein schlechtes Zeichen und hätte mich auf das Chaos gefaßt machen sollen, das
mich hinter der Eingangstür erwartete.
    Der erste Mensch, den ich sah, war ein
Mann im Overall, der offensichtlich den gerade frisch abgezogenen
Hartholz-Fußboden im Foyer mit hellbrauner Farbe gestrichen hatte. Ein anderer
Arbeiter stand neben ihm. Er schrie und fuchtelte in gefährlicher Nähe des
antiken Lüsters mit einer Brechstange herum. Rae Kelleher, meine Assistentin,
stand vor ihm, die Arme in die Hüften gestemmt. Ihr rot angelaufenes Gesicht
und ihr kastanienbraunes Haar ergänzten sich perfekt. Außer ihr war noch Ted
Smalley, unser sonst so unerschütterlicher Bürovorsteher, da und sah sehr
bestürzt aus.
    »Verdammt, es ist nicht mein Fehler!«
beendete der Mann mit der Brechstange seine Tirade.
    »Ist es doch, Sie Trottel!« rief Rae.
»Wagen Sie es nur nicht, sich vor der Verantwortung zu drücken. Sie haben es
hier mit einer Rechtsanwaltskanzlei zu tun, damit Sie es wissen.«
    »Das gottverdammte Dach ist in einem
saumäßigen Zustand.«
    »Versuchen Sie nicht, Ihre Unfähigkeit
auf das Dach abzuschieben!«
    Der Handwerker sah sie mit offenem Mund
an, als hätte sie einen unflätigen Ausdruck gebraucht — und dazu noch einen,
den er nicht kannte.
    »Die Farbe geht nicht ab«, jammerte der
Anstreicher kläglich.
    Die anderen ignorierten ihn.
    »Rae, bitte«, sagte Ted, »reden wir
doch vernünftig miteinander...«
    »Du hältst dich da raus!« Sie griff
nach der Brechstange, die gerade einen der gläsernen Schirme auf dem Lüster
streifte. »Das war ein teures Messingbett, das Sie da zertrümmert haben«, sagte
sie zu dem Handwerker.
    »Das war nicht ich. Ein Stück von dem
verdammten Dach ist draufgefallen.«
    »Aber Sie sind dafür verantwortlich.«
Rae sah Ted an. »Er ist doch verantwortlich, nicht? Ach, Scheiße, warum frage
ich denn dich? Du bist ja kein Anwalt. Wo ist denn Hank, wenn ich ihn mal
brauche?«
    Ted entdeckte mich am Eingang und
rollte mit den Augen. »Jetzt ist mir klar, warum sich Hank und Anne-Marie genau
diese Woche für ihren Trip nach Hawaii ausgesucht haben«, sagte er.
    »Was mache ich nun mit hundert Litern
einer Farbe, die mich an den Inhalt der Windeln meiner Kinder erinnert?«
    »Wenn Sie für das kaputte Bett nicht
aufkommen, verklage ich Sie!«
    »Was Sie nicht sagen.«
    Ich schlug die Haustür mit einem Knall
zu und schrie: »Haltet mal alle die Klappe!«
    Kaum zu glauben, aber sie taten es.
    Ted nutzte die Gelegenheit. »Sie gehen
los und besorgen etwas, womit Sie den Fußboden wieder sauber kriegen«, sagte er
zu dem Anstreicher. »Über die Verwendung der Farbe reden wir am Montag.«
    Abgang des Malers, nörgelnd.
    Ted wandte sich an Rae. »Das Dach ist
tatsächlich in einem schlimmen Zustand, aber ich weiß auch zufällig, daß dein
Messingbett ein billiges Imitat ist. Ich bin sicher, daß unsere Versicherung
das ersetzt.«
    Sie zögerte. Man sah ihr an, wie sie
hin- und hergerissen war zwischen dem Wunsch, noch einmal auf den Handwerker
loszugehen, und dem Wissen, auf Ted angewiesen zu sein, wenn er für sie bei der
Versicherung intervenierte.
    »Muß man eigentlich Oberlichter im Dach
besonders verankern?« fragte Ted den Handwerker.
    Er nickte.
    »Wieviel?«
    Der Handwerker machte den Mund auf, sah
dann Rae an, wie sie plötzlich mit niedergeschlagenem Blick dastand, die
Unterlippe vorgeschoben, ganz kleines Mädchen und nicht mehr streitsüchtige
Furie. »Na ja, für hundert mache ich’s.«
    Rae sah auf und schenkte ihm ein
strahlendes Lächeln.
    Ted seufzte und entließ ihn mit einer
Handbewegung. »Also dann weiter.« Während Rae und ihr neuer Verehrer die Treppe
hinaufstiegen, knirschte er mit den Zähnen und murmelte: »Das Dach wäre
erledigt. Was jetzt?«
    Ich klopfte ihm nur auf die Schulter
und sah nach meiner Post. Drei Mitteilungen, nichts von Bedeutung.
    Ted seufzte erneut und ließ sich in den
Schreibtischsessel fallen. In dem eleganten, holzgetäfelten Empfangsraum
wirkten sein Computer, die Stahlschränke, das Fax-Gerät, der Kopierer und die
Regale voller Nachschlagewerke deplaciert. Ted selber paßte zur

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